PJ Harvey: Endlich befreit


Die depressiven Zeiten sind vorbei. Inzwischen hat PJ Harvey die Lust am Leben entdeckt

Erinnert sich noch jemand an Babes In Toyland? Oder L7? Es scheint, als wäre der kurze Höhenflug lauter Frauenbands, die Rock mit Rock bekämpften, zusammen mit weiten Teilen der von ihnen geliebtgehaßten Alternative-Szene untergegangen. Was aus diesen aufregenden Tagen blieb, sind die beiden großen Damen dies- und jenseits des großen Teiches, Courtney Love und Polly Jean Harvey. Und wenn es nach ihnen geht, dann darf die Männerwelt beruhigt aufatmen, denn die Zeit der Attacken ist vorbei. So wie sich Miss Love einer Ganzkörper-Hollywoodisierung unterzogen hat, erklärt auch Polly Harvey ihre manisch-depressive Vergangenheit für beendet. Das Make-up und die Maske sind verschwunden, die Femme fatale ist jetzt eine seriöse Songwriterin. „Is This Desire?“ fragt sie suggestiv im Titel der ersten Veröffentlichung ihrer neuen Zeitrechnung, einem Album voller Songs, die wohl noch brodeln und pieksen, von denen aber keine Gefahr mehr ausgeht. Polly Harvey droht nicht mehr jeden Moment zu im- oder explodieren, das ehemals aggressiv-waidwunde Wesen hat seinen Frieden geschlossen – mit der Natur, den Menschen und vor allem mit sich selbst. „Bei der laufenden Tournee habe ich zum erstenmal wirklich Spaß. Ich fühle mich zu Hause, denn ich habe akzeptiert habe, daß das mein Leben ist“, erklärt die aufgeräumte Künstlerin und fährt fort: „Vor drei oder vier Jahren bin ich auf der Bühne noch in andere Rollen geschlüpft. Jetzt bin ich die gleiche Person, ob auf der Bühne oder hier und jetzt- keine Masken, keine Kostüme.“ Und so wie Courtneys Verwandlung mit ihrer ersten Filmrolle einherging, erscheint uns auch Polly dieser Tage auf Zelluloid – in einem von Kurzfilm-Star Hal Hartley für Arte produzierten Einstünder. „The Book Of Life“ ist eine freie Adaption des Jesus-Geschichte, PJs Rolle natürlich die der Maria Magdalena. Da ist sie wieder Polly, die Unberührbare. Aber nur da. Sonst ist die neue Miss Harvey einfach eine Frau für alle Festivals, wie unlängst in Köln, wo sie auf der Bühne ungeschminkt und mit wehendem Haar ihre neue Zugänglichkeit demonstrierte. „Das Leben ist eine großartige Sache“, sagt sie,“es gibt soviel zu tun, zu sehen, zu lernen, zu schmecken. Du mußt dich von dem dunklen Zeug befreien, das dich gefangenhält, damit du das Leben genießen kannst.“