Plasmatics – Megawatt-Pantomime


Explosiv wie ihr Auftritt verlief auch die Begegnung zwischen Wendy O'Williams von den Plasmatics und ME-Mitarbeiter Harald inHülsen. In dem Moment nämlich, da er ihre vorfabrizierte Litanei unterbrach, um Widerspruch anzumelden, ging Miß W.O.W, in die Luft und ließ ihn sitzen.

I boogaloo! I monkey! Willkommen zur Megawatt-Pantomime. Zum Heavy-Metal-Ritt gegen die zehn Gebote. Zum Angriff auf die West-Zivilisation, vertreten durch einen TV-Apparat, eine elektrische Gitarre, zwei Verstärker/Boxen und einen Lichtmasten (genau diese Gegenstände wurden bei der Kostümshow der Plasmatics zerstört). Heavy Metal oder Heavy Mental? Die Show-Zeit der New Yorker Plasmatics startet mit einem langen Reklamefilm, der das Publikum aufpeitschen soll, für das, was noch kommt. Der Film: Die Aktrice Wendy O. Williams läßt sich mit-einem Hubschrauber zum Publikum bringen, das kreischend/vergötternd unten auf der Erde wartet. Die Band spielt ein paar Songs (extrem laut!). Wendy läßt sich aus rollen dem Auto fallen, ehe dies explodiert. Reklame Ende.

Die Plasmatics erscheinen (auf der Bühne, live). Die Expedition ins Reich der Gewalt/Zerstörung/des Sex und des Heavy Punk Metal wird fortgesetzt. Wir reiten an der Oberfläche. Im Kostüm. Wendy mit schwarzem Irokesenschnitt auf kurzem Blond-Haar, mit weißem Busen; Lead-Gitarrist Ritchie Stotts mit Irokesenschnitt (violett) und Strumpfhalter; Bassist Jean Beauvoir der Schwarze steckt in einem weißen Anzug und setzt die Füße so, wie in der Tanzstunde… Die Beat-Section mit Stu (Drums) und Wess (Rhythmus-Gitarre) klingt, als hätten sie alte Stooges-Platten gehört. Der Heavy-Metal-Haufen der Plasmatics ist kopfzerschmetternd. Nur vereinzelt gerinnt er zu einer Melodie. Wendy faucht/ stöhnt/ läßt ihren tiefen Sprechapparat kreisen. Und sie zersägt (eine Gitarre), schwingt den Schlaghammer ins TV-Gerät und zündet zum Abschluß den Sprengsatz, der Box/Verstärker plus Lichtmasten zu Fall bringt. Die Choreographie der Zerstörung ist äußerst sorgfältig ausgearbeitet. Der ganze Set hängt zwischen Lächerlichkeit und Genialität. Das Publikum hatte keine Chance, zu reagieren. Nur Rod Swenson, der Manager, läßt seinen Körper zum Watt-Ausschlag bewegen. Er ist sehr allein!

I won’t be happy until I’m known far and wide; with my face on the cover of the TV Guidfe. The Dictators: „Next Big Thing“.

„All I can say is: SO WHAT? No one ever lost money underestimating the intelligence of the American public.“

Roy Trakin im „New York Rocker“.

Die Kopf-zu-Kopf-Konfrontation mit Wendy, dem Mega-Star der Plasmatics. Attraktion Nr. Eins. Kannte man (die Öffentlichkeit) sie bisher als vollbusige Lokomotive der Band, die die Fleischverehrer/-fresser unter uns befriedigte, so sieht sie mit ihrem Irokesenschnitt heute aus der Nähe(!) eher aus wie ein Opfer der selbst-inszenierten Explosionen. Zerplatzt. Und viele, die gekommen waren, um den Ex-Porno-Star in Pornographie-Aktion zu sehen, waren enttäuscht! Geht lieber in die nächste Peep-Show…

Wendy wird mir vorgesetzt, vor dem Konzert, zum Interview.

Sie ist sehr sauer/aggressiv, weil ich nach den anderen Plasmatics-Akteuren gefragt habe („Können wir nicht alle zusammen reden“). Wendy keift: „Wieso?!! Reiche ich dir nicht?!!“ Ich sage mir: oh Wendy, go girl crazy! Sie dachte sich: sie! kommt und sie! siegt; sie ist ja schließlich der Star aller Medien.

Wendy, wie war’s in Zürich? (Das Konzert der Plasmatics in Zürich endete im Chaos, die Anlage der Band wurde vom Publikum zertrümmert. Zerstörung ohne Choreographie.) Wendy: „Alles war phantastisch! Die Fans empfingen uns mit Begeisterung. Es gab jedoch ein Problem mit ungefähr 15 Jugendlichen, die für dieses unabhängige Jugendzentrum protestierten. Bei den meisten Plasmatics-Shows dürfen sich die Leute selbst ausdrücken, sie dürfen diese Befreiung austragen, ohne daß dabei jemand verletzt wird! Bei dieser Show kamen die 15 Leute ungehindert mit Taschen voller Flaschen in die Halle. Die warfen sie wahllos ins Publikum, sie verletzten sich dabei gegenseitig! Das war dumm! Sie protestierten für ihr Jugendzentrum, und alles, was ich dazu sagen kann, ist: hey, ich bin für Protest, ich bin mir sehr bewußt, daß ich meine Gefühle, Gedanken und Taten in der Öffentlichkeit ausdrücke. Aber ich glaube, das kann man erfolgreich friedlich tun. Wir haben bisher eine sehr saubere Spur hinterlassen, ein Rekord: seit zweieinhalb Jahren machen wir unsere Show und immer haben wir uns für das Risiko ausgesprochen, für das Übertreten von Vorschriften, die Bedeutung der persönlichen Freiheit, die Bedeutung, zuerst auf sich zu hören, und sich nicht von all dem Schrott, der Scheiße, beeinflussen lassen, die uns umgibt!

Und niemand wurde verletzt.“ (Einen Tag später erzählte mit der Züricher Dieter Meier, Yello-Mitglied, eine andere Version der Ereignisse; von seinem Freund, der dabei war, hat er folgende Information: Leute aus dem Publikum, die vor der Bühne tanzten und hinauf springen wollten, wurden von den Roadies der Band brutal getreten, ins Gesicht. So eskalierte das Ganze zum Zertrümmern der Anlage. Protest-Persönliche Freiheit-Sich selbst ausdrücken, die Bedeutung!) Wendy spult ihre Propaganda weiter ab: „Überall, wo ich hinsehe, ist Gewalt … auf der Bühne, mit den Plasmatics, da sehe ich keine Gewalt. Das ist Kunst! Ich suche das Individuum, ich spreche ausschließlich als Einzelperson. Wir wollen dem einzelnen Mut machen, was zu riskieren, d.h. aber nicht, das Auto deines Vaters in die Luft zu jagen! In der heutigen Zeit wird so viel Betonung auf materielle Dinge gelegt, diese leblosen Gegenstände, ob es nun ein schöner Stuhl, ein TV oder Auto ist. Ich sage: „Hey, sieh es dir an! Warum es zerschlagen, es ist nur Materie, ich benutze es nur als ein Werkzeug. Rock’n’Roll ist mein Medium, mit dem ich kommuniziere. Die echten Verrückten in unserer Gesellschaft sind doch die, die nicht kommunizieren können! Wenn du jemals was verändern willst, dann geht das nur durch das Individuum!“

„Ich glaube, wenn die Leute zu den Plasmatics kommen, dann fühlen sie etwas, obwohl sie bewußt nur fühlen, daß ihre Ohren sausen, weil die Musik so laut war. Dennoch glaube ich, daß sie im Unterbewußtsein ein wenig Befreiung spüren! Heutzutage ist es besser, überhaupt WAS zu empfinden, als überhaupt gar nichts.“

„Für mich suchen die Leute ihren Moment-Ausbruch, ich auch, und die Plasmatics sind nicht wie KISS , Schminke und Fantasie, sondern echte Realität.“

Aber, liebe Wendy, auch ihr benutzt Kostüme, setzt ein Image ein, daß ihr durch die Medien (Video z.B.) verbreitet. Macht Show. Wie KISS. Wendy wippt mit ihrem Fuß: „Das ist ein Haufen Mist! Ich sollte mit dir überhaupt nicht sprechen! Das ist doch die größte Beleidigung der Welt!!“ Was denn? Wendy: „Nicht imstande zu sein, zwischen Realität und Scheiß-Schminke zu unterscheiden! Du hast überhaupt nicht zugehört, was ich gesagt habe! Ich habe nichts mehr zu sagen, Good-Bye!“ Ende der Propaganda. Wendy ist wütend auf gesprungen. Und verschwunden. Sie hatte ohne Unterbrechung ihr Gebet rausgelassen.

Nach-Gedanke Nr. 1, aus der Ferne: Liebe Wendy, hättest du doch lieber zur Übermittlung deiner Botschaft ein Telegramm benutzt, das wäre schneller/kürzer/präziser gewesen und hätte dir das Reden/die Stimme erspart.

Nach-Gedanke Nr. 2: „Alles ermüdet auf die Dauer, selbst die Hölle.“

Honore De Balzac. Die selbstbewußte Show der Plasmatics (ich mag ihre laute Musik!) wirkt stilisiert, ist eine Sensation, die so sensationell scheint, daß man aufhört zu denken. Nachzudenken über den Sinn der Zerstörung von Material. Aus der Ferne gibt mir zu denken: das Publikum verließ den Saal am Ende des Konzerts satt und sprachlos.