Queen: Heldentod im Lichtgewitter


Von Mitte Januar bis Mitte Februar tourte Queen durch Deutschland. Musikalisch passierte nicht viel auf dieser Tournee - —geboten wurden Queens greatest hits, dazu ein Querschnitt durch die neue LP "Jazz". Aufsehenerregender war dagegen die gewaltige Lichtanlage, die die vier Musiker mit immer neuen Strahlenschauern bombardierte. Hermann Haring,der Queen in Hamburg erlebte, hatte dummerweise seine Sonnenbrille zuhause gelassen. Aber dennoch sah und hörte er genug, um am Ende die Flucht in die Nacht lustvoll genießen zu können.

Eigentlich geht’s den Jungs von Queen doch ganz gut. Mit ihrem schwergewichtigen, aber melodiösen Ruck und den dazu kontrastierenden artistischen Gesangssätzen haben sie die populäre Musik der siebziger Jahre sicherlich bereichert. Sänger Freddie, der unübertreffliche Narzifs, hat dem Rock-Volk mit seinen eigenwilligen Kostümen und seinem vollen Brusthaar (ist’s nun ein Toupet oder nicht oder doch?) immer auch einen Augenschmaus geboten. Die Popularität von Queen hat Anfang 1979 einen neuen Höhepunkt erreicht; vor allem auch in Deutschland, wo „Jazz“ in die Top 10 der auf Verkaufszahlen beruhenden Hitliste einzog und in Kürze wohl vergoldet wird. Auch der Rubel rollt bei Queen: die Band managt sich mittlerweile selbst, nachdem sie in den Jahren 1972 bis ’75 kaum Geld gesehen hatte und danach drei Alben lang von einem Manager betreut worden war, den Freddie Mercury jetzt im Hamburger Konzert mit einem knappen Satz öffentlich würdigte: ,,lhr könnt ihn Schwein nennen!“

Geht’s den Jungs von Queen also wirklich gut? Spürt man bei ihren Konzerten, das da vier Leute agieren, die innerlich intakt sind? Geht’s los bei Queen? Spread your wings and fly away?

Leider nein. Queen in concert, das war diesmal eine frustrierende Angelegenheit. Die Musik, die aus den Boxen donnerte, hatte kein Fecling und erzeugte nicht mal einen Funken jenes Feuers, das bei einem echten, aufrichtigen, emotionsgeladencn Rockkonzert in jedem Zuhörer abbrennt, der mit dieser Musik großgeworden ist. Queen ’79, das war technische Brillanz bei Baßmann John Deacon. Gitarrist Brian May und Schlagzeuger Roger Taylor und gesangliche Brillanz bei Freddie Mercury. Kommunikation aber, Schwingungen gleicher Wellenlänge auf der Bühne und im Publikum. Musik als Medium für emotionale Botschaften, das alles suchte man vergeblich. Die vier von Queen rockten nebeneinander und nicht miteinander. Nur ganz selten – so in einigen Passagen von „Spread Your Wings“ – hatte man plötzlich das Gefühl, daß da oben zwischen den Lautsprechertürmen vier Musiker zusammenfanden und die guten Vibrationen herunterschickten. Die Queen-Songs, ohnehin von gewollter Künstlichkeit durchzogen, wirkten steril und tot wie nie zuvor, und der Witz, der auf den LPs oft im Detail steckt und zumindest intellektuelle Freude bereiten kann, geht bei den Phonstärken, die für fünf- bis zehntausend Zuhörer notwenig sind, ohnehin unter.

Queen als seelenloses Monster,das über die Leute herfällt wie jene Mensch-Maschine, die auf dem Cover der Queen-LP „News Of The World“ ihr Unwesen treibt – wo liegen die Gründe für solch eine erschreckende Metamorphose?

Wer lesen will, kommt, wenn es sein muß. mit ’ner Kerze aus. Wer am Schreibtisch sitzt und arbeitet, braucht so an die 60 Watt. Wer eine Sylvesterparty gibt und seine ganze Wohnung beleuchtet, damit niemand nach zwölf versehentlich auf die Bierleichen tritt, mulS Glühbirnen mit einer Gesamtleistung von etwa 500 Watt einschalten. Und Queen? Queen haben jetzt eine Lichtanlage mit einer Gesamtleistung von weit über 400.000 Watt. Punkt. Vierhunderttausend Watt. Da holen auch die Elektrizitätswerker einer Großstadt viermal tief Luft. Und freuen sich dann vielleicht, weil in die größte Halle ihrer Heimatstadt nur ein Teil der Queen-Anlage paßt. Die Transportlaster total entleeren konnten Mercury & Co. nämlich nur in drei oder vier deutschen Hallen. In allen anderen Städten – so auch in Hamburg – gab’s sozusagen nur das kleine Programm.

400.000 Watt. Über den Köpfen der Musiker hängen 320 Spots. Jeder davon hat 1.000 Watt Leuchtkraft. Am anderen Ende der Halle und auf den Rängen sind Lichtkanonen postiert, die mit jeweils 5.000 Watt schießen. Dazu kommen noch die Extras,: die Spots am Schlagzeug, die große Krone, hier ein Spot und da ein Spot. Und die alle ballern dann los. Weiß, rot und grün. Sonst nichts. Keine Farbspiele, keine optischen Kompositionen.

Nur gnadenlos herunterdonnernde Lichtfluten, die mal aus- und mal eingeschaltet und meistens zusammengeschaltet werden. Der Mann am Lichtschalter ist kein Künstler, sondern Soldat; wenn ihn das Kommando zum Einsatz erreicht, dann knallt er raus, was die Birnen hergeben. Wollt ihr die totale Lichtpower? Jawohl, Freddie denn unsere Augen sind so leer.

Interview mit Bassist John Deacon. Ein liebenswürdiger, offenherziger Gesprächspartner. Einer, der sieh auch so seine Gedanken macht. Lohnt sich der Lichtaufwand für ihn und die Gruppe? „Das kostet ’ne Menge Geld!“ sagt er. „Aber wir hoffen, daß wir am Ende nichts verlieren und nichts gewinnen.“ Das alte Lied also: die Show ist gut, um Platten zu verkaufen. Wieviel Platten aber muß Queen mehr verkaufen, um mit dieser Show über die Runden zu kommen? Ein Mann der Plattenfirma EMI, die Queen unter Vertrag hat, weiß offenbar schon genauer Bescheid und spricht von mehreren 100.000 Dollar Verlust.

Ist denn solch ein Aufwand eigentlich notwendig, frage ich John Deacon. „Nein“, meint er, „natürlich nicht für jede Band. Aber wir haben mal irgendwann damit angefangen. Die Sache ist mit uns gewachsen und großgeworden, und wir haben gar nicht richtig mitbekommen, wie groß das alles tatsächlich geworden ist. Im Grunde will man diese gigantische Ausrüstung überhaupt nicht. Aber dann fügt mal dieser und mal jener was dazu; jemand aus der Gruppe hat ’ne Idee und sagt: He! Da gibt es jetzt das und das laßt uns daß doch noch dazunehmen!‘ Und so machen wir weiter und weiter. Und jetzt schleppen wir sehr viel mit uns „rum“.

Wie aber wird Queen weitermachen? „Das weiße ich echt nicht. Wir entscheiden uns da von Tour zu Tour. Im Moment spielt das Licht eben die Hauptrolle. Und es ist auch nicht sonderlich phantasievoll, sondern auf einige dick aufgetragene Grundelemente reduziert. (‚It’s not particulary fancy in any way, it’s Just very basic, but big‘, heißt es im englischen Originalton.) Das war die Idee, die wir diesmal hatten: Licht mit einem mehr geometrischen, starren Design!“

Wenn es darum geht, neue technologische Errungenschaften oder auch nur Weiterentwicklungen herkömmlicher Techniken zu nutzen, steht die Rockmusik ganz vorne. Siehe Synthesizer, Laser, Mellotron. Fortschritte in der Lichttechnik läßt sich kaum eine finanzstarke Rockband heutzutage entgehen der Wunsch nach stärkerer Lichtkraft, höhrerer Lichtintensität, besseren gestalterischen Möglichkeiten ist allgegenwärtig. Aber während viele andere Gruppen – auch Supergruppen – noch immer bemüht sind, mit ihrem Licht zu zaubern, hat bei Queen die Kreativität ausgespielt. Hier soll die Quantität den Erfolg bringen. Und unter dem weiß-rot-grünen Flächenbombardement spielen dann vier Musiker „We Will Rock You“, die eigentlich nur das beste wollen und gar nicht oder nicht mehr rechtzeitig merken, daß sich die Maschinerie, in der sie stecken, verselbstständigt hat. Die Konkurrenz auf dem Rockmarkt ist groß, also noch mehr Licht, noch mehr Power. Die Macht der Masse muß es bringen. Und mit jedem Watt, das dazukommt, geht ein Stück Kreativität verloren. Am Lnde donnert die Musik genauso hohl und seelenlos wie die Lichtmaschineric, die nicht mehr mit Fingerspitzengefühl, sondern nur noch durch das Umlegen von Blockschaltern und das Dirigieren von quadratmetergroßen Lichtfeldern in Szene gesetzt werden kann.

Eine tragische Entwicklung, in die Queen da hineingeraten sind. Im Lichtgewitter starben Mercury und Anhang bei dieser Tour den Heldentod. Denn eigentlich wollten sie, die Champions, ihre Fans doch immer nur mit der größten, schönsten, ausgeflipptesten Show beglükken. Freddie, you’re an old man poor man… You got mud on your facc, you big disgrace, somebody gonna put you back in your place. We will we will rock you….