RAD. Radified


Ein Deja Vu-Erlebnis der erlesenen Art: Rad. kombiniert vollmundigen Funk der Siebziger mit aktuellem Dancefloor-Jazz.

Das ambitionierte Hamburger Label „Soulciety“ ist auf dem besten Wege, sich als deutsche „Talking Loud‘-Variante zu etablieren. Nach dem allseits mit Lobeshymnen bedachten Sampler „The Soulciety Funk Family“ — der ganz ohne omnipotenten Vertrieb im Rücken knapp 10.000 mal über die Ladentische wanderte — bewegt sich auch „Radified‘ als Debüt der Sängerin und Pianistin Ann Dimalanta alias Rad. in höchsten Qualitätssphären. Mit viel Jazz-Appeal und charmant-unverbrauchter Stimme erinnert die Kalifornierin oft an Rickie Lee Jones, ohne diese aber e zu kopieren.

Statt dessen verwendet sie Funk und Latin als Stützpfeiler ihres Sound-Kosmos‘, verschmilzt die Rare Grooves der 70er mit dem Dancefloor-Jazz der 90er Jahre. Was sich bereits auf der fulminanten Maxi „Wishy* andeutete, wird nun endgültig zur Gewißheit: Rad. geht nicht auf Nummer sicher. Sie fertigt keine Blaupausen bereits etablierter Trends an, sondern extrahiert aus den verschiedensten Einflüssen einen musikalischen Sud, der sich dann in zehn eigenwilligen, durchweg fesselnden Songs zwischen liebestaumeligen Balladen und pulsierenden Uptempo-Nummern niederschlägt.

Unterstützt von einer kompetenten Hamburger Backing-Band weist die sanft dahinfließende Engtanznummer „Private Room* ebenso viele Ecken und Kanten auf, wie das rhythmisch vertrackte Titelstück. Und auch wenn The Push, ein Projekt des Galliano-Bassisten Ernie McKone, ihr auf zwei Songs zur Seite steht, bleibt es dabei: Zugeständnisse an den Massengeschmack sind tabu. Den meisten „Talking Loud‘-Produktionen ist Rad. damit um ein ganzes Stück voraus. Kein Wunder also, daß diverse Major Companies in den Startlöchern stehen, um „Soulciety* mit viel Geld an sich zu binden. Bezug über: EWM, Hopfenstraße 2, 2000 Hamburg 36, Fax 040/31922116. (hot)

Der Groove von Gestern

»Revivat* heißt ein Soul-Song von Martine Gerault, der in England unlängst für Furore sorgte. Revival, das Motto, nicht der Song, ist auch der Schlüssel für die Welt von Gruppen wie Rad. aus Hamburg oder Push aus London. Bereits in der zweiten Hälfte der 80er Jahre kochte in den Clubs der Insel und begrenzt auch in deutschen Großstädten ein 70er Jahre-Revival hoch, das als Rare Groove-Bewegung einen mehr oder minder hohen Bekanntheitsgrad erreichte. Nach dem Motto »Not macht erfinderisch“ reanimierte man in Ermangelung guter neuer „schwarzer* Musik die Originale einer vergangenen Epoche: Gemeint ist die Blütezeit des Funk, als James Brown noch einen Schnurrbort kultivierte und mit seiner Begleitbond The JB’s einen Großteil jenes funky Sounds einspielte, der Ende der 80er in Form von Hip Hop-Produktionen recycelt werden sollte.

Von 1987 an entwickelten sich Hip Hop und das Rare Groove-Revival entweder einträchtig aufeinander zu {nachzuhören bei Boo-Yaa T.R.I.B.E, und auf der Brand New Heovies-Platte »Brand New Heovy Freestyle“, wo Hip Hop-Größen zu Live-Funk rappen) oder konsequent voneinander getrennt. Rad. repräsentieren letztere Linie: die des puren Revivals. Sie hängen dem kalifornischen funky Sound von Gruppen wie der Averoge White Band, Blood Sweat & Tears, Rare Earth oder Tower of Power nach.

Wenn man so will, tun sie auf ihre Art dasselbe wie Lenny Kravitz, dessen Erfolgsrezept auf der polierten Reproduktion altbekannter Stile beruht: klangtechnisches und kreatives „Malen nach Zahlen*. Dieses Prinzip mag man zurecht als langweilig und reaktionär empfinden, aber es bewahrt letztendlich den Blick für eine Spielweise der »schwarzen“ Musik, die spätestens mit dem Aufkommen der Computer-Auf nähme-Technologie Ende der 70er den Löffel abgeben mußte, lall

Die Hitze des Nordens

Hamburg gilt als die deutsche Metropole für das 70er Jahre-Revival. Nirgendwo konzentrieren sich mehr Bars und Clubs, die gemütlichen Rare Groove-Sound pflegen (Soul Kitchen) oder hippe Jazz-Dance-Klänge feiern (Mojo Club). Es konnte nur eine Frage der Zeit sein, bis sich die Attitüde der dortigen Clubmacher auch in Plalten-Labelarbeil niederschlug. DJ EMU und seine Freunde beispielsweise begannen vor ungefähr vier Jahren in der Tanzbar Tempelhof auf dem Kiez ihren Retro-Sound zu spielen. Vor etwas mehr als zwei Jahren bauten sie sich dann in der Nähe der Hafenstraße ein kleines Nightlife-Imperium mit den Läden Soul Kitchen, Casablanca und Baton Rouge auf.

Während der Galliono-Tournee 1991 begegnete EMU seinem jetzigen Partner Michael Kirsch, man freundete sich an und gründete das Soulciety-Label. Erstes Lebenszeichen der kleinen Firma war ein gemischter Sampler, der Stücke ihrer Londoner Freunde wie Push (z.T. Golliano-Begleitband) und eigene Gewächse wie Rad., STP oder M’Blue Et Moi vorstellte. Rad. ist das Projekt von Kirschs Frau Ann Dimalanta, einer Kalifornierin, die mit jungen Musikern aus den Hamburger Nobelvororten Othmarschen und Blankenese auch live eine gute Figur macht. Umjubelte Auftritte bei der Kölner PopKomm, der Kasseler Documenta und im Vorprogramm von Ex-James Brown-Saxophon-Legende Maceo Parker waren die Folge. Während Rad. sich also allmählich ihren gerechten Status erspielen, arbeiten EMU und Kirsch bereits an neuen Platten. Die Jazz-Funk-Rap-Band STP und die vom Jazzrock a la Miles Davis inspirierten M’Blu Et Moi sind kommende Kandidaten. Und die Argusaugen der findigen Label-Macher ruhen nie: Die deutsch rappenden Reim Banditen und die Münchner Rare Groove-Speziolisten The Poets Of Rhythm stehen als nächste auf dem Plan, fall