Regeln für Rebellen gesucht


Aber Jack Whites und Brendan Bensons freiheitliches Bandprojekt The Raconteurs bricht sie doch sowieso gleich wieder?! Jedoch mit der Passion und dem Spaß einer echten Band.

Die Situation erinnert an David Bowie zu Zeiten von Tin Machine. 1989. Bowie hatte sich selber satt. Und startete eine Rockband, in der er nichts weiter sein wollte als ein Zahnrad im Dienst des kollektiven Grooves. Journalisten, die sich vom Erfolg dieses Unterfangens überzeugen wollten, wurden nach Dublin ins Studio von U2 geladen. Dort saßen die vier Tin Machines im Kreis und markierten eitel Kumpelliebe. Allerdings quasselte nur einer: der Drummer. Immerhin machte der dem Namen (um nicht zu sagen der Musik) des Ensembles alle Ehre und quasselte vor allem Blech.

Mit den Raconteurs verhält es sich zuerst einmal ähnlich. Die Band besteht aus einem Superstar und drei Mitstreitern, deren Namen bis eben nur dem engeren Kreis der Indierockfamilie geläufig waren. Doch das musikalische Resultat ist im Gegensatz zu Tin Machine kein Pfusch, alles andere als das Ergebnis von Selbstüberschätzung und Marketing-Strategie, sondern eine vitale Sammlung von Songs, die geradezu elegant den Spagat schafft zwischen der bluesigen Muse des Superstars und der Vorliebe für Power Pop seiner drei vermeintlichen Fußsoldaten.

Wie sich dieses Quartett fürs Interviewaufstellt, erinnert hingegen wiederum sehr an Tin Machine: Im Uhrzeigersinn versammeln sich um einen runden Tisch, der groß genug wäre für eine Generalversammlung des FC Bayern München, folgende Herren: Patrick Keeler (blonde Strähnen, Pausbacken, die andeuten, daß ihr Besitzer dem Bier nicht abgeneigt ist), Brendan Benson (dünn wie eine Gerte, zerzaust wie Syd Barrett), „Little“ Jack Lawrence (Typus Wichtelmännchen in einem Tim-Burton-Film), Jack White (Wasserleichen-Teint, Spazierstock und Klunker eines Voodoo-Priesters). Keeler (Drums) und Lawrence (Baß) gehören der psychedelisch bewanderten R’n’B-Combo The Greenhornes aus Cincinnati an, die auch die White Stripes auf deren jüngsten Tour als Vorgruppe begleitete. Benson ist, bereits ein gutes Stück bekannter, ein singender Songschreiber der munter-melancholisch-cleveren Art und hat vor einiger Zeit ein Album der Greenhornes produziert. Die Greenhornes wiederum kennen Jack White seit den frühen Tour-Tagen der Stripes. Sie stiegen regelmäßig bei ihm ab, wenn sie in Detroit spielten.

Und dieser Jack White ist wiederum – muß man nicht mehr erklären, darf man aber noch einmal auf den Punkt bringen – ein begnadet fieser Gitarrist und ein Sänger mit der Aura eines glaubhaft Besessenen, der sich den Wahnsinn aus der Seele schreien MUSS. An der Seite seiner neandertalerhaft trommelnden Gefährtin Meg hat er einige Gesetze des Popgeschäftes auf den Kopf gestellt. Statt Glamoursound mit dem Tiefgang einer Wasserspinne kredenzen die White Stripes dramatischen Blues, knallige Art-Konzepte und passionierte Plädoyers gegen Internet, Digitaltechnologie und eine Gesellschaft, die sich vor allem über den Konsum definiert. Doch Zurück in Jacks Nebenstraße, zurück zu den Raconteurs. Die kamen so: Im Frühjahr 2004 produzierte Jack White das neue Album von Loretta Lynn. Für die Arbeit im Studio engagierte er Keeler und Lawrence. Bald erkannte er, daß „die halbe Freude“ an der Arbeit darin bestand, vor der Ankunft der splendiden Loretta noch kurz eine Jam-Session mit der Studioband steigen zu lassen. Im Sommer 2004 entdeckte er dann tatsächlich einen kleinen freien Fleck in seinem Kalender. Flugs beordnete er das Rhythmusteam ins Heimstudio von Brendan Benson nach Detroit und schlug so zwei Fliegen mit einer Klatsche. Er hatte Brendans Songschreibekünste schon lang bewundert. Die beiden standen auch schon gemeinsam auf lokalen Bühnen. Zusammen schrieben sie einen ersten Song: „Steady, As She Goes“, ein süffiges Stück Power-Pop, das frappant an „Is She Really Going Out With Him“, die große Stunde von Joe Jackson, erinnert. Es sollte der Anfang und erste Single von Broken Boy Soldiers werden.

Zu viert und ziemlich geheimnisvoll glucksen sich White & Co. ins Fäustchen, als unser Interview beginnt. Bei den Raconteurs ist der Drummer kein Schwätzer, aber auch sonst will keiner so recht reden. Stotternd klären sie zumindest den Irrtum auf, daß die Hälfte der Band noch immer in Detroit wohne. „Wir wohnen jetzt alle in Nashville, Tennessee“, sagt Benson. „Music City, know what I mean?“ Dem folgt weiteres verschwörerisches Kichern. Was ist denn daran so komisch? „Little joke“, sagt White. Das hier ist kein Haufen Sessionmusiker, das sind Kumpels, alberne Kumpels, die sich allzu gerne in gutfreundschaftlichen Insider-Scherzchen ergehen. „Die Vorstellung, daß wir wegen eines käsigen Slogans nach Nashville gezogen wären, ist doch komisch, nicht?“

Aber irgendwie behält er ja Recht, der Slogan: „Es ist wirklich eine Musikstadt. Tolle Atmosphäre. Musiker genießen viel Unterstützung. Denn praktisch jeder hat mit Musik zu tun in der Stadt. Sowieso die Dinge ändern sich dort. Die müßten den Slogan ändern: Nashville – not just Country anymore, sondern auch Western“, schlägt White vor und kommt endlich in Fahrt. Was er an Nashville schätze, sei gerade die Tatsache, daß die Szene von einer Struktur dominiert werde. Einer konservativen Geschäftsstruktur zwar, aber zumindest einer, gegen die man rebellieren könne: „Viele Leute hassen Nashville. Sogar Loretta Lynn empört sich manchmal darüber. Aber dieses System hat viel tolle Musik hervorgebracht, ich glaube, es ist ein fundamentales Problem der Amerikaner, daß sie die Schönheit und den Nutzen von Regeln nicht erkennen. In England gibt es das Klassensystem. Darein kann man sich schicken, oder man kann dagegen mit „God Save The Queen“ rebellieren, wenn man die Sex Pistols ist. Der Rahmen gibt Form. Sowas haben wir in den Staaten nicht. Keine Regeln. Und dazu die Erwartungshaltung, keine Regeln befolgen zu müssen. Das ist meiner Meinung nach ein großer Makel unserer Kultur. Die Leute gehen schon im Pyjama in die Shopping Mall. Chaos! Das ist doch nur langweilig.“

Was die Raconteurs mit Broken Boy Soldiers bieten, ist durch und durch vitale Musik. Sie reicht vom besagten Power Pop über Swamp-Blues bis zu den Byrds. Hat man damit auch irgendwelche Regeln befolgen oder brechen wollen? „Könnte sein, könnte auch nicht sein“, sagt White mit verschmitzten Grinsen. „Wenn wir mit dem Album etwas sagen wollen, ist es, daß wir uns damit die totale Freiheit ausgenommen haben, zu tun was wir wollen, und das ist doch schon mal was, oder? Es geht dabei um nichts anderes als die Liebe zum Songschreiben und Geschichtenerzählen und um die Freude von uns vier am Zusammensein. „

Zweifelsohne hat sowas seinerzeit auch der Schlagzeuger von Tin Machine verkündet (Hunt Sales hieß der übrigens). Aber den Raconteurs nimmt man das ab. So wie die Jungs über den Sound der Hammondorgel fulminieren können, der dem Album da und dort eine wohltuend dissonante Nuance gibt, das geht nur mit 100 Prozent Passion: Jene Phase am Ende der Seventies – die Anfinge des Synthi und die letzten Wehen von Fender Rhodes, Hammond und Korg“, schwärmt White: „Die hatten noch Dreck im Sound. Da steckte Leben drin! Und dann kamen die Casios und alles klang nur noch schwächlich und sauber.“

Was soll weiter geschehen mit den Greenhornes, Brendan, den White Stripes? „Wir werden ein ‚e‘ aus dem Namen streichen „, witzelt Keeler. „Ansonsten werden wir weiterhin Musik machen, die wir unsgern selber anhören.“ Benson: „Ich auch.“ Und die Stripes? „Ich habe schon eine Menge Songs beisammen „, sagt White. „Aber wir haben erst letzte Woche erst die Satan-Tournee abgeschlossen. Die reichte von Island bis Tasmanien. Wir sind beide ziemlich kaputt.“

www.theraconteurs.com