Billy Bragg :: Volume 1

Polit-Folk-Pop: Werkschau, die erste: Billy Braggs "socialism of the heart" in der Version der frühen Jahre mit diversen Alben und zwei DVDs. In einer opulenten Box. Herrlichkeit de Luxe!

Wenn Musiker mit einer Dankadresse an die Eltern um die Ecke kommen, ist meist alles zu spät. Kurz vor scheintot lautet dann die Analyse, und das Schaffen hat in einem solchen Fall sowieso schon einen Dauer-Stellpatz im Parkhaus der musikalischen Belanglosigkeiten. Im Fall von Billy Bragg verhält sich das selbstverständlich anders. Erstens, weil es der Mann seit Anfang der Soer Jahre bis heute immer wieder aufs Neue schafft, aus Pop und Politik eine gehaltvolle Denk-dochmal-selber-nach-Soße-anzurühren. Und zweitens, weil sich die Dankadresse an seine Frau Mama so liest: „And finally, a big thank to my mother, Marie, for finally accepting that I’m never going to have a ‚proper‘ Job“; Billy Braggs Lebensuhr hat ab dem nächsten Jahr eine „Fünf vorne – der Mann aus Barking, Essex, hat wohl im Laufe seines Berufslebens viele Sträußchen mit Mama Marie ausfechten müssen. Wie fabelhaft bunt, klug und würdig sich dieses Berufsleben in den frühen lahren gestaltete, kann man auf diversen CDs und zwei DVDs bestaunen. Serviert in einer opulent ausgestatteten Box und erweitert um zahlreiche Bonustracks und Alternativ-Versionen, vereint VOLUME 1 die frühen Jahre Braggs. Und wie.

Erstes Album, erster Song – und dann gleich Zeilen, die einem ohne Frage eine hübsche Beule ins Emotionszentrum fahren. „If you’re lonely, I will call – If you’re poorly, I will send poetry/I love you/I’am the milkman of human kindness/I will leave an extra pint“, singt Bragg ironisierend-schlau in „The Milkman Of Human Kindness“, dem Opener des Albums Life’s A Riot With Spy Vs Spy, 5 Sterne. Im ebenso tief traurigen wie tröstlichen „The Man With The Iron Mask“ gibt Bragg ein ausgebufftes Wahrhaftigkeitsbündel-und dann ist da noch der Song, der bis heute zum Finale eines jeden Bragg-Konzerts ertönt: „A New England“. Mittlerweile ist Braggs Sohn aus dem Gröbsten raus; als Jack Bragg jedoch noch ein Dreikäsehoch war, variierte Bragg den Text, den er mit 21 geschrieben hatte: statt „I’m just looking for another girl“ sang er „I’m just looking for a decent Babysitter“. Was natürlich ebenso wunderbar ist wie ein zentraler Song von Brewing Up With Billy Bragg, 4 Sterne: In „The Saturday Boy“ baut Bragg einer Schülerliebe ein warmes, aber keinesfalls kuscheliges Beetchen: Zweimal die Woche saßen sie zusammen im Geschichtsunterricht, und bevor die nostalgischen Momente allzu forsch vorneweg marschieren, wird die juvenile Liebelei im Hier und Jetzt relativiert und zurechtgestutzt: „And la la la la la means I love you“. Was genauso erfrischend und kundig daherkommt wie TALKING WITH THE TAXMAN ABOUT POETRY, 6 Sterne , dessen Untertitel allein schon eine flotte Wucht ist: The difficult third album. Das „schwierige dritte Album“ ist nur als Ganzes zu haben, erst als Paket entfalten die Songs ihre Kraft, Klugheit und aufgeklärte Version von Romantik; auf dieser Langspielplatte tapeziert Billy Bragg die Lieder mit allem, was ihn bewegt, rüttelt und schüttelt: das Für und Wider von Gewerkschaften, die Dritte Welt, die englische Gesellschaft, Maggie Thatcher, Kindheitserinnerungen – all das kommt dran.

Und in „Greetings To The New Brunette‘ hängt Bragg seine ganz persönlichen „S“ nacheinander an die Themenleine: socialism, safersex, soccer (respektive: football) und Shirley: „Can we get through the night without mentioning family“, singt er die Herzdame an, nachdem die englische Nationalmannschaft, deren Aufstellung und das Gerüst des Sozialismus‘ schon behandelt wurden. Und will, wie schön, mit der Süßen rumliegen und füreinander vorhanden sein.

The Internationale, 3,5 Sterne, indes muffelt doch ein bißchen arg nach Klassenkampf. „Völker hört die Signale“ wirkt auch auf Englisch dezent angestaubt, und die Denkmalpflege für Rosa Luxemburg und andere frühe Popstars des Sozialismus übernehmen heute ohnehin dankenswerterweise so aufdringliche Gestalten wie Gregor Gysi und Oskar Lafontaine. Wie gut, daß Bragg auf dem Album auch einem seiner musikalischen Idole einen atheistischen Altar baut: „I Dreamed I Saw Phil Ochs Last Night“; wer auch nur einmal Phil Ochs gehört hat, weiß, daß solch ein Traum zu den guten gehört. Garniert mit feinen Linernotes, wird VOLUME 1 abgerundet von Konzertmitschnitten: Von eher historischem Wert, kann man auf From The West Down To The East, 3,5 Sterne, unter anderem bestaunen, daß der Cordhütchen-Sozialismus, wie ihn Genosse Erich Honecker veranstalten ließ, keine gute Idee war. Aber: Auch ein Held wie Billy Bragg kann sich mal irren – und im Herbst dieses Jahres folgt VOLUME 2: eine Box, in der sich dann das Bragg’sche Schaffen bis zur Jetztzeit tummeln wird. Das Schüren von Vorfreuerei ist eine extrem vornehme Angelegenheit: geben wir uns ihm einfach hin.

www.billybragg.co.uk