Jamie T. Köln, Gebäude 9


Es pfeift ein höhnischer Wind durch diese Nebenhöhlen: Dos Nachtwuchswunder schwingt den Punkknüppel.

Da steht er auf der Bühne, einsam und von einer Nebelmaschine umpustet: Jamie Treays Akustikbass, das Markenzeichen-Instrument des 20-jährigen Nachwuchswunders. Doch seltsam genug: Niemand bestaunt das Instrument, niemand macht Anstalten, auf die Bühne zu springen und es zu begTapschen. Es steht einfach nur da rum und lässt sich vollpusten. Dabei handelt es sich hier doch immerhin um den Akustikbass von Jamie T.! Begreifen Sie doch: Jamie T., jener Mann, der uns, wenn man aller Hysterie und dieser Fachzeitschrift Glauben schenken darf, aus dem Tal der musikalischen Ödnis fuhren wird. Dessen Musik endlich Schluss macht mit dem ganzen Waverock-Quatsch, all dem Para-Pop und dem Keane-Kitsch. Doch das Publikum im Gebäude 9 nimmt’s gelassen, steht rum und quatscht. Also noch mal zum Aufpeitschen: JamieT. ist das Beste, was uns seit langem aus England entgegengeschwappt kam! Ein Rotzlöffel mit krummen Zähnen, der dreist Hip-Hop, Lo-Fi, Punk, Reggae und Folk durcheinanderhaut und mit dem auf der Insel gerade so beliebten Pommesbuden-Gesang dazu sprechsingt wie ein alter Bushaltestellenbekannter von Billy Bragg und Mike Skinner. Die Briten lieben ihn dafür wie eine Großmutter ihren jüngsten Enkel: Jamie T. darf alles – öffentlich rülpsen, die Klappe aufreißen, mit ungewaschenem Akzent reden und klauen. Neu ist nämlich nichts an Jamie T.s Ansatz: Letztlich kombiniert er nur das derzeit geschätzte alltagsverhaftete Brit-GeschnoddeT mit der Elster-Attitüde eines Beck. Nein, er kombiniert es nicht, er IST diese Verbindung, und das ist momentan schon ganz schön viel.

Um viertel vorzehn dann kommen vier Typen mit Konsolenspieler- Sweatshirts und Hausbesetzer-Haaren auf die Bühne geschlappt. Geht ja gut los: Jamie T.s Band – eine wandelnde Kifferklinik! Dann kommt Jamie T., und gemeinsam machen die fünf erst mal, was junge Leute immer machen, bevor sie mit irgendetwas anfangen: Sie rauchen eine. Doch nach den ersten dreißig Sekunden des Openers ist klar, dass dies ein toller Abend werden wird. Denn: Jamie T. und seine Band lassen den Punk-Knüppel aus dem Sack. Da, wo auf Platte noch gefällige Grooverei und Lo-Fi-Launigkeit regierten, setzt Jamie T. live auf Rotz und Tempo. Sein Vorteil gegenüber etlichen gegenwärtigen Punk-Darstellern: das Wissen darum, dass ohne die nötige Schwärze jegliche Sexyness verloren ginge. Und sexy ist er weiß Gott: Die Stimme klingt in echt noch umwerfender als auf Platte – wie ein höhnischer Wind, der frech durch enge Nebenhöhlen pfeift. Unablässig verteilt er Tapes und scherzt mit den ersten Reihen: „ls thisapress conference?“, fragt er die schnatternden Gören einmal. Dann geht es wieder Schlag auf Schlag: „Salvador“ kommt im doppelten Tempo, „Calm Down Dearest“ biegt Gelenke und Gemüter, und „Back In The Game“, bei dem er so schön die Vokale quetscht und die Konsonanten kappt, geht am Schluss in „Paradise City“ über. Die Band möchte man mittlerweile am liebsten mit nach Hause nehmen allen voran den wahnsinnig lässigen Bassisten; bewegt man sich eigentlich automatisch so cool, wenn man einen Bass umhängen hat? Der Keyboarder dagegen wirkt derart zubetoniert, als würde er gleich vornüber auf seine Tastatur klatschen. Zusammen lässt diese Band etwas entstehen, von dem man geneigt ist zu denken, es sei neu. Dabei ist es nur wild. Und sehr gut- was reichen sollte. Mit „Sheila“ endet der reguläre Teil; jetzt herrscht tatsächlich Hysterie, der Saal steht Kopf. Jamie T. kommt allein zurück: Nur zum Akustikbass singt er Billy Braggs „A New England“. Er verhunzt den Song beinahe – demutsvoll. Zum Glück. Man sollte vor nicht allzu viel Respekt haben vor Billy Bragg schon. >» wwrw.jamie-t.com