Dies ist kein Liebeslied von Karen Duve

„Wenn man erkennt, dass man den Verstand verliert, ist es das Klügste, die Sache für sich zu behalten und geistige Gesundheit vorzutäuschen, indem man sich wie alle anderen benimmt.“

Es ist zu vermuten, dass die Zeitschrift „Brigitte“ solche Sätze zum Anlass nahm, Karen Duves zweiten Roman tatsächlich als „unbeschreiblich lustiges Buch“ zu denunzieren. Dabei ist es Duves größter Verdienst in DIES IST KEIN LIEBESLIED, niemals unbeschreiblich lustig zu sein. Sie schindet keine Lacher. Damit heben sich die Jugenderinnerungen ihrer Protagonistin Anne Gewinn bringend von popliterarischen Kindheitsverklärungen ä la Goosen/Hein/Hlies/Brussig ab.

Diese Anne nun entwickelt bereits in der Grundschule einen sehr umfassenden Selbsthass. Zu Beginn der achtziger Jahre ist sie schon am Ende. Ihre gestörte Körperlichkeit, das ewige Dicksein mit all seinen Facetten, frisst nach und nach alles andere auf. Sie tyrannisiert ihren schwellenden Leib mit Rasierklingen, Diäten, Drogen. Bulimie, Männern, Tabletten und versucht sich schließlich selbst den Schädel einzuschlagen in der Hoffnung auf Veränderung. Das Glück und die Liebe sind in diesem Leben seltene Gäste. Kurz klopfen sie an, etwa wenn Anne die für sie aufgenommene Mixkassette des unerreichbaren Peter H. hört. Doch beides geht sogleich wieder verloren. Die Suche danach schildert die erwachsene Anne in Rückblicken, während sie fett und fertig noch einmal die personalisierte Schlankheit, jenen unerreichbaren Peter H., aufsucht. Die großartige Klarheit, mit der Karen Duve ihre Sätze ordnet, und das präzise Sezieren von Demütigungen erinnern an Houllebeqs „Elementarteilchen‘. Es ist Duves überaus komischem Erzähltalent zu verdanken, dass sich der ehrlichen Verzweiflung der Geschichte das ehrliche Schmunzeln des Lesers entgegenwirft.

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