Fleetwood Mac :: The Complete Blue Horizon Sessions 1967-1969

Muß doch ein schönes Gefühl für John Mayall sein, wenn einen die Rock-Essayisten in der ganzen Welt als „Paten des britischen Blues-Booms“ feiern, und zwar ungefähr seit 1970 und alle Jahre wieder. Weniger erquicklich dürfte es für Mayall allerdings sein, daß er sich diesen Titel vor allem dadurch verdiente, indem er einer Reihe von hochtalentierten Musikern nicht viel mehr als eine kreative Übernachtungsmöglichkeit bot, bevor sie sich, zu Höherem berufen, an die Eroberung der Welt machten. So war Jack Bruce mit Mayalls Bezahlung unzufrieden, bevor er mit einem weiteren Gehaltsempfänger namens Eric Clapton die Gelddruckerei Cream aus der Taufe hob. Mick Taylor griffen sich die Rolling Stones ab, Jon Hiseman zog ins Colosseum, Peter Green, Mick Fleetwood und John McVie gründeten 1967 ein Konkurrenzunternehmen. Das nannte sich Fleetwood Mac, verpflichtete den Gitarristen und Sänger Jeremy Spencer und avancierte zur Hausband von Mike Vernons Label „Blue Horizon“. Von Stevie Nicks oder dem TANGO IN THE NIGHT war seinerzeit noch nicht die Rede. Fleetwood Mac waren eine puristische Blueskapelle, Ausflüge in poppigere Gefilde fanden nur selten statt – dafür aber um so erfolgreicher, wie die Songs „Albatross“ oder „Black Magic Woman“ bewiesen. Drei reguläre Alben und fünf ebensolche Singles entstanden unter Vernons Ägide, die im 6-CD-Set The Complete Blue Horizon Sessions alle enthalten sind. Mit den Songs des Debütalbums PETER GREEN’S FLEETWOOD MAC (1968) sowie der Nachfolgewerke MR. WONDERFUL (1968) und ENGLISH ROSE (1969) kann man selbstverständlich keine sechs Scheiben füllen. Und jene Songs, die ursprünglich nur auf 45ern erschienen sind, fänden theoretisch auf einer Maxi-CD Platz: Die pessimistisch betitelte, von Robert Johnsons „Dust My Broom“ inspirierte 67er-Debütsingle“l Believe MyTime Ain t Long“ samt B-Seite „Rambling Pony“, der Klassiker „Need Your Love So Bad“ sowie das Elmore James-Cover „The Sun Is Shining“ wurden nach dem Split von „Blue Horizon“ bereits auf der Compilation THE PIOUS BIRD OF GOOD OMEN (1969) veröffentlicht – und sind natürlich ebenfalls mit von der Partie. Für volle Scheiben sorgen indes die beiden komplett enthaltenen Live-Sessions BLUES JAM AT CHESS VOL. 1 und VOL. 2, aufgenommen Anfang 1969 mit einer ganzen Reihe von bereits damals legendären Künstlern des Chicagoer Blues-Labels, für deren Händedruck so mancher Brit-Blueser wohl seine Gitarre verschenkt hätte: Harmonikaspieler Walter „Shakey“ Horton, Bassist Willie Dixon, Gitarrist Buddy Guy und Pianist Otis Spann. Mick Fleetwood und Kollegen erwiesen sich dabei den mehr oder minder grauen Eminenzen als absolut gewachsen, ein Gefälle zwischen den schwarzen Großmeistern und ihren weißen Jüngern ist schlichtweg nicht auszumachen. Im Jahr 1971, als Peter Green bereits an seiner Solo-Karriere bastelte und John McVies Ehefrau Christine McVie zum Line-Up der Band gehörte, veröffentlichte CBS eine Art „Anthology“ aus der Frühphase der Band, die nun das aktuelle Box-Set abrundet: THE ORIGINAL FLEETWOOD MAC verbriet bislang unveröffentlichtes „Blue Horizon“-Material von 1967 und 1968, das streckenweise in überarbeiteter Form auf der 69er-LP THEN PLAY ON erschien. Summa summarum umfaßt The Complete Blue Horizon Sessions sämtliche regulären Veröffentlichungen, was einem Box-Set mit dem Wort „Complete“ im Titel und gut sechsstündiger Spielzeit zwar zur Ehre gereicht, aber Sammler und Freaks noch lange nicht dazu veranlaßt, nervösen Blickes und mit schwitzigen Fingern die nötigen Scheinchen zu zählen. Denn die Komplettheit fängt bekanntlich erst dort an, wo das Repertoire der offiziell erhältlichen Tonträger endet: bei Alternativ-Verslonen, später verworfenen Tracks, Studio-Dialogen und fehlerhaften Takes, die kurz nach dem Einzählen In ein kollektives „shit, let’s do it again“ münden. Auch hier gibt sich das Six-Pack keine Blöße, allein neun Takes von „Need Your Love So Bad“ müßten selbst neugierigste Fans befriedigen. Wer dann noch immer nicht genug hat, darf Mike Vernons detaillierte Liner Notes im 32 Seiten starken Booklet auswendig lernen.