Irmin Schmidt/ Bruno Spoerri – Toy Planet

Drei höchst verschiedene Alben entsprangen bisher der kreativen Atempause bei Can: Holger Czukay überraschte mit MOVIES, einem gelungenen Collage-Experiment mit Einspielungen über Kurzwelle (vergl. ME 11 79); lackie Liebezeit veröffentlichte mit der Phantomband eine LP. die von der eleganten Verknüpfung unterschiedlichster perkussiver Elemente lebte, (vergl. ME 11 80). Als Irmin Schmidt nun für seinen ersten geplanten Alleingang im Studio des schweizer Saxophonisten Bruno Spoerri zunächst einmal relaxt vor sich hin experimentierte, war sein Gastgeber davon so angetörnt, daß er sich der Reise anschloß. TOY PLANET entwickelte sich als plastische Urnsetzung von Schmidts Faible für Fantasy Literatur. Daß die suggestive Ausstrahlung dieses komplexen elektronischen Trips die seine Filmmusiken um Vielfaches übersteigt, mag daran liegen, daß hier kein visueller Streifen existiert, der die Vorstellung vorbeeinflussen kann. So ist es jedem selbst überlassen, (am besten unter Kopfhörern!) diesen Planeten im Rahmen der eigenen Phantasie zu entdecken.

TOY PLANET ist wohlgemerkt kein avantgardistisches Experiment, sondern eine höchst dramatische Angelegenheit. Irmin Schmidt erweckt die Synthesizer aus ihrer starren Ersatz-Rolle. Er läßt aus ihnen paradiesische Garten wuchern und öde, bedrohliche Schneewüsten erstarren. Er materialisiert mystische Schleierwesen, die gespenstisch mit sakralen Gesängen an uns vorbeischweben. Daneben manifestiert sich das Irdische in optimistisch tanzenden Melodien, sei es Disco, Zigeunermusik oder Exotischeres. Es passiert einiges auf diesem Planeten, der außerdem noch eine Menge unterschiedlichster Kulturen zu beherbergen scheint. Ein Wunderland an Inspirationen also für Bruno Spoerris Saxophon, das sich unaufdringlich für gut plazierte Akzente einfädelt und für ausgeglichene Oasen sorgt. TOY PLANET ist so farbig, abenteuerlich, kitschig, elegisch, esotherisch, märchenhaft, spannend, bedrohlich oder bildschön, wie so ein Fantasy-Projekt im Idealfall wohl sein sollte. Ein Soundtrack nach diesem Muster hätte die mißglückte Verfilmung von Tolkiens „Herr der Ringe“ wenigstens in ein inspirierteres Umfeld verpflanzt. Apropos Soundtrack:

Vor kurzer Zeit erschien FILMMUSIK, eine Zusammenstellung verschiedener Filmthemen, die Irmin Schmidt in jüngster Zeit geschrieben hat und zwar für „Im Herzen des Hurrican, Nicht mit uns“, „Der Tote bin ich“ und „Das Messer im Kopf“. Synthesizer Keyboard-bestimmt, angereichert mit dem üblichen Rock-Instrumentarium Gitarre Baß Schlagzeug und Bruno Spoerris weich und stimmungsvoll angelegtem Saxophon sind dies acht positive Beispiele dafür wie Filmmusik, losgelöst von der Leinwand, eigenständig weiterleben kann. Die Titel sind allesamt dezenter als TOY PLANET, reichen jedoch von der emotional starken Illustration eines romantischen Abenteuers („Im Herzen des Hurrican“) bis hin zur unterschwelligen (Can)Spannung („Der Tote bin ich“). Höhepunkt, das Solo aus „Der Tote…“, inspiriert vom 40er Jahre „Lonely Man‘-Saxophon (O-Ton Schmidt); selbstversunken, intensiv, schön!