Kraftwerk :: Computerwelt

Das ist einer der aufregendsten Platten, die ich seit langem gehört habe. Kraftwerk-Musik hat mich immer irgendwie fasziniert, aber sie hat mich eher im Kopf erreicht und ich hatte selten das Bedürfnis, sie in allen Lebenslagen, zu allen Zeiten zu hören. Bei COMPUTERWEU ist das anders. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, daß die Synthesizer mit Leben, mit Wärme erfüllt sind. Computermusik war für mich stets sehr kalt, glatt – von ganz wenigen (Kraftwerk)-Ausnahmen abgesehen.

Ralf Hütter, Florian Schneider, Karl Bartos und Wolfgang Flur ist es gelungen, diese Maschinenkälte zu überwinden. Erst jetzt macht sich ihre zehnjährige Forschungsarbeit mit Maschinen, Elektronik, Computern bezahlt. Computer/Elektronik sind Realismus. Erst der Mensch gibt ihnen Wirklichkeit – zum Guten wie zum Schlechten. Diese Kraftwerk-Platte zeigt das ganz deutlich. Man spürt jederzeit das sensible Verhältnis zu unserer Gegenwart, betrachtet von einer positiven Lebenseinstellung aus. Da schwingt keine Verzweiflung mit, keine böse Ironie, sondern eine erkennende, zutiefst menschliche und politische Haltung. COMPUTERWELT ist eine gelungene Mischung aus erstklassigem Pop und Politik. Politik, was textliche Inhalte und das Benutzen der Technik betrifft (die Kraftwerker arbeiten ausschließlich mit elektronischen Geräten, zum Erzeugen von Tönen; von der Natur-Stimme Ralf Hütters abgesehen, die zum Teil aber auch noch verfremdet wird). Und Pop, weil die Kompositionen, die, wie sie sagen, oft Zufallsprodukte ihres Lebensstils, der sich durch jahrelange regelmäßige Arbeit im Kling Klang Studio gebildet hat, von einer eigenen, eben faszinierenden, klaren und einfachen Schönheit sind. „Computer Liebe“, für mich das schönste Stück (7.00 min), offenbart die Liebe ihrer „Erfinder“ zu Mensch und Technik sofort, strahlt die benannte Wärme am deutlichsten aus. Der Titelsong „Computer Welt“ (siehe Textabdruck in der Kraftwerk-Story) gibt klare politische Denkanstöße. Überhaupt bieten die Titel textlich/inhaltlich keine Endlösungen an, sondern animieren den Zuhörer, über sich, sein Leben, seine Umwelt, die Gegenwart nachzudenken; sie gestatten Träume, fordern zu eigener Kreativität auf. Das geschieht skizzenhaft, wie hingeworfen. Die Texte betten sich in das Gesamtkonzept der Komposition und Spielweise ein. „Zahlen“ z. B., oberflächlich betrachtet nur ein Spielen mit Zahlen, aber wenn da ein Computer in verschiedenen Sprachen, auch russisch, ras, dwa, tri – (eins, zwei drei) sagt, ist es mehr als Spielerei. Taschenrechner“, auch ein Song mit einer sich sofort einfressenden Melodielinie, ist mit zu Tonkombinationen fähigen Taschenrechnern, einer elektronischen Kinderorgel und ganz wenigen elektronischen Rhythmus-Erzeugern eingespielt. COMPUTERWELT ist rhythmischer, kompakter geworden, hat Power, Rockmusik-Power. Das sieben Titel umfassende Konzeptalbum der Düsseldorfer zeigt, wer die Richtung auf dem Gebiet der elektronisch verarbeitenden Töne angibt. Kraftwerk sind ihren Kollegen meilenweit voraus und stehen dabei mitten in der Gegenwart!