Kurz & Klein von Michael Sailer

Im Sommer kriegt alles weiche Flecken: In den Wiesen mault der Wurf, der Asphalt suppt, auf dem Pflaster wuselt das neoliberale Ameisenpack um geschmolzenen Kaugummibap herum, und im sonnenseligen Musikfreund brechen „soft spots“ auf- Erinnerungsnischen, in denen süße Sirenenmädels sitzen und nostalgoid mit den Wimpern flattern. Zum Beispiel ist ein nicht unwesentliches Stadium meines Lebens mit Alice Cooper untrennbar verbunden, drum gilt das Dogma: Nie soll ein böses Wort über Ole Blackeye mir entdringen! Nun hat mir aber ein unheilvoll grinsender Plattenmeister einen Stapel Zeug auf den Tisch gestellt, obendrauf: Dirty Diamond (Spitfire/Eagle Rock). Alice Coopers „neues Album“. Eingespielt offenbar (ich weiß nichts Genaueres) mit einer Holzhackerkapelle, die normalerweise in einem subtexanischen Ein-Pferd-Nest im Pizzaladen sitzt und Freibier kriegt, damit sie nicht spielt. Das rockt wie ein Maulwurf, der zu spät gemerkt hat, daß er sich in schnellbindenden Beton hineingewühlt hat resp. ödelt dahin wie ein alter Brie im Tal des Todes. Sagen wir: Alice (der in „Perfect“ klingt wie ein spätpensionierter Robbie-Williams-Imitator) hat das schon besser gemacht, aber schlechter kaum je. „Pretty Ballerina“ und „Zombie Dance“ schaffen es trotzdem auf meinen iPod. Old times, baby. Daß ich mal einen weichen Fleck für Hubert Kah gehabt hätte, wäre eine schlimme Übertreibung. Das NdW-Doofiegesicht vegetiert in meiner Erinnerung zeitlich/wertschätzungsmäßig zwischen dem Direktoratsverweis wegen „grobem Unfug am Wandertag“ und der versehentlichen Zehnminurenaffäre mit der dicken Babsi dahin. Sternentaucher (DA Records) zeigt, was herauskommt, wenn sich einer für Michael Rother, Westernhagen, Howard Carpendale, Dance-Koryphäe, Popgenie, geschmackvoll, musikalisch und wichtig hält und keiner ihn daran hindert, seine Hybris in die Tat umzusetzen: ein zähes, hohles Nichts voller peinlicher Momente. Hingegen zieht mich ein masochistischer Kitzel unwillkürlich zu allem hin, was den Nachnamen Osbourne trägt. Kelly Osbournes erstes Album habe ich damals billig ersteigert (und einmal angehört). Auf Sleeping In The Nothing (Sanctuary/Rough Trade) versucht sie sich als Visage-Kopistin („One Word“ fadet copyrightmäßig relevant to Grev), Eighties-Revivalistin und erwachsene Mainstream-Rocklady. Leider ist das alles recht billig, mittelschlecht und höchstens stellenweise charmant geraten. Legt man danach Lisa Marie Presleys Now What (Capitol) auf, geht die mühevolle Mühle nahtlos weiter. Nichts gegen Musik als Produkt, aber wenn vom Gesicht bis zum letzten Ton alles NUR noch Produkt und sonst gar nichts mehr ist, dann steckt da einer der Grundirrtümer des ausbrennenden Finalkapitalismus drin: Ein Stück „Nahrung“ ohne Geschmack, Geruch, Kalorien, Vitamine, Farbe, Wirkung und sonstwas mag keiner essen, auch wenn der Werbespot noch so teuer ist.

Für Sinead O’Connor hatte ich mal viel übrig, allerdings eher ideell als musikalisch. Daß ihre Stimme ein wunderbares Geschenk der Natur an die Welt ist, hört man den gesammelten COLLABORATIONS (EM 1) an. Aber was ihr Leute wie Massive Attack, Bomb The Bass, Jah Wobble, The The, Moby und Peter Gabriel so alles an Bändern geliefert haben, schwankt zwischen inspiriert, schnarchfad und beiderseitiger Geschmacksverirrung. Immerhin ist die Langeweile eine edle, während man sich nach dem Schmalzgerumpel der Levellers auf ihrem wahrscheinlich 58. Album mit dem passenden Allerweltstitel Trtuh & Lies (Eagle Records) umgehend die Hände waschen möchte. Substandard-Smokie für betrunkene Baumbewohner. Wenn die dann das Stadium erreicht haben, wo sie anfangen, aggressiv in der Gegend herumzugurgeln, Kot zu werfen und ein Affenfell zu kriegen, klingen sie wahrscheinlich so ähnlich wie die Truppe Norma Jean auf Oh God The Aftermath (Capitol). Gewöhnliche Menschen rufen bei so was die Müllabfuhr und fragen sich, wieso nicht mal jemand 75 Minuten Stille aufnimmt. Weil es die nirgends mehr gibt, wahrscheinlich. Auch nicht in Belgien, aber das talentierte, streckenweise etwas bemühte Musizieren von Sioen weicht meinen soeben zu Kruppstahl geronnenen „soft spot“ für das freiwillige Anhören von Geräusch an sich wieder ein bißchen auf. Ease Your Mind (Keremos) hält, was der Titel verspricht,und mehr verspricht er nicht. Die Erinnerung winkt diskret mit Namen wie Supertramp und The Nits, doch wollen wir vorschnelles Vergleichen dem sympathischen Frederik Sioen und seinen Freunden nicht antun; dazu sind ihre Einflüsse zu vielfältig.

Wahrscheinlich bin ich nicht der einzige, der zurücklächelt, wenn hübsche Mädchen lächeln und fröhliche Buben fröhliche Dinge tun. Das tun beide auf dem Innencover von Them Codes … Them Codes (Hazelwood/Cargo), dem außen eher abschreckend zusammengephotoshopten Album der Broker) Beats, das vom bisherigen Haufen am Angenehmsten tönt, nämlich easy, entspannt und sonnenpoppig. Daß man sich keinen der 15 Songs länger merkt, als er läuft, könnte eventuell an auraler Erschöpfung liegen. Oder auch nicht, denn zum guten Schluß haben sich auf verschlungenen Pfaden Museum und ihre beiden EP’s Old Firehead und E xitwounds (über: binarymuseum.net) in den CD -Player geschlichen und zeigen mit einem coolen Augenzwinkern/Handumdrehen, daß wir Bands wie Geneva und Fosca zu schnell vergessen haben. Da bleibt einiges hängen, wenn sich die majestätisch melancholischen Melodiebögen aus dem elektronisch vibrierenden Pop-Nebel erheben. Demnächst, hört man, kommt ein ganzes Album. Sollte man nicht überhören.