Liedermacher

Ladies first. Maria Bill, Schweizerin in Wiener Theater- und Musicaldiensten, legt mit JETZT (Polydor) ihre zweite LP vor. Verschwunden sind der Disco-Versuch und das klassische Chanson des Debütalbums, geblieben sind textliche Direktheit und musikalische Gefälligkeit, der Arrangeur Christian Kolonovits mit gezielt verteilten Schmankerln jene Kerben verpaßte, die Glätte vermeiden.

Bilder wie „ich hör‘ schon die Nesseln wachsen, in die ich mich setz“ machen die meisten Songs zum Vergnügen, und wer bei der ersten Bill-LP die rockigrotzigen „roten Schuhe“ mochte, wird sich diesmal über „Viecher“ freuen. Dieses Sammelsurium von Zeitungsente, Pleitegeier, Geilspecht, Lackaffe und anderen Zeitgenossen rechtfertigt fast schon allein eine Empfehlung. JETZT ist eine LP für die, die lieber leben statt jammern. Knapp: (5) Vielleicht gehört Anke Wendland eher in die Abteilung Rock made in Germany, aber manchmal verteilt die Redaktion ins Töpfchen/Kröpfchen… also: zehn Titel auto- oder scheinbiographischen Inhalts enthält die LP MENSCHENTIER (Ariola). Keine Texte auf dem Innencover, doch die sind deutlich verständlich. Generaltenor: Stadtpflanzen mit Landausflug, Loblied des Nordens, Klärungsversuche mit sich selbst. Die Stimme, unverkennbar an Ulla Meinecke erinnernd, individuell, aber wenig variationsreich. Und immer wieder Rockmusikanten im Hintergrund. Knapp (3) Nur mit ihrer Gitarre begibt sich Nanette Scriba auf ihrer LP gleichen Namens (Songbird/Wergo) aufs Drahtseil der Balance zwischen Chanson-Tradition, klassischen Liedthemen, Zeitgeist und Harmonien außerhalb der üblichen Grundakkorde – und hat mehr Boden unter den Füßen als andere auf platter Erde.

Glasklare, sehr modulationsfähige Stimme, überraschende melodische Wendungen, moderne, nie anbiedernde Texte und perfektes Französisch bei drei Liedern. Die Frau ist fast zu gut für eine große Karriere in der aktuellen Musiklandschaft. (5) Lassahn & Reift, ein Texter (u.a. für Thommy Bayer) und ein Musiker, können eigentlich nicht singen, tun aber auch nicht so. Und trotzdem, VORSICHT BEI MUSIK (Rillenschlange, Postfach 225, 3205 Bockenem) sagt über Musik, Gefühle und moderne Zeiten mehr aus als manche wohlklingende Scheibe.

Voller Abwechslung in Arrangement, Stil und Präsentation (und mit einem mustergültigen, kommentierten Textblatt) erweitern die beiden grinsend und professionell das Programm des Kabarett-Labels „Rillenschlange“ um jene Töne, die anderswo fehlen. Zum Beispiel im Angebot jener Firmen, die immer vom Marktrisiko reden und jedes scheuen, und im täglichen Tango-Diesel der ARD. Also: reinhören! (5) A propos tägliche Musidudelei. Davon singt auch Reinhard Mey auf seiner neuen LP HERGESTELLT IN BERLIN (Intercord), deren Titel so nichtssagend ist, daß man sich über die Qualität des Albums täuschen kann. Natürlich verläßt Mey seine musikalischen Markenzeichen nicht, den sanften, gefälligen Melodienfluß mit Folk-Reminiszenzen; warum sollte er auch? Aber manche seiner Texte haben’s diesmal in sich, wenn er gegen Muzak, korrupte Politiker und die Wunschkonzertgrüßerei zu Felde zieht. Ist auch „M(e)y English Song“ die Fortsetzung des „Alpenraps“ der Ersten Allgemeinen Verunsicherung, so greift MADE IN BERLIN doch zumeist andere als derzeit gängige Themen auf. Süßsaure Tropfen im Teelöffel Zucker. (4) Leichenbittere Ironie hingegen bietet Hannes Wader mit seinem Dioxin-Song auf der neuen LP GLUT AM HORIZONT (Pläne), das sich auch mit der amerikanischen Armut, seinen früheren Star-Träumen und der Rede des Häuptling Seattle beschäftigt. „Abschied“, „Am Fluß“ und „Landsknecht“ sind fast epische Lieder, die geduldig von der Natur in und um uns berichten. Abgesehen von gelegentlichen Soundeffekten kehrte Wader zur Gitarre ohne Band zurück, die immer noch die beste Begleitung für seine Stimme ist. (4) Das „Wenn ihr den letzten Baum zerstört“-Thema ist auch auf Cochise LIVE (Wundertüte/Deutsche Austrophon) enthalten, einer jener emsigen Tourneegruppen, die gut drauf sind, wenn’s ihr Publikum auch ist. Die unbekümmerte Art. gängige Themen mit der in der „Sßiehn“ üblichen Plakativität zu präsentieren, eignet sich für die Clubatmosphäre weit besser als für eine Schallplatte, wo man doch genauer zuhört. (2) Die Empfehlung aus der Abteilung Lieder ohne Worte heißt diesmal Tierra (= Thomas Hickstein/g, perc; Wolfgang Stute/g, perc: Andreas Junge/g) und ihr Flamenco-Album SE HACE CAMINO AL ANDAR (Castor/2001 Versand). Nicht nur für Südlandfahrer. (5) Und schließlich das Prachtstück des erfreulichen Liedermacher-Frühlings: AUF DEM WEG ZU DIR (Polydor) von Herman van Veen. Das Album, das aus Kunst Unterhaltung macht und umgekehrt. (6)