Morrissey :: Live At Earl’s Court

Popmusik: Auf seinem Livealbum singt Morrissey so gut, daß man förmlich mit den Ohren schlackert.

Für manche Menschen waren The Smiths deswegen unerträglich, für andere machte gerade das den speziellen Reiz aus: die nonchalante Arroganz, mit der sich der junge Morrissey über so Kinkerlitzchen wie Intonation, melodische Konvention und akribische Tontrefferei hinwegsetzte. Wenn er dann gar noch sein berühmt-berüchtigtes Wolfsgeheul anstimmte, war der Ofen für die einen aus, für die anderen glühend. Darin lag das Geheimnis des Mannes, zu dessen Vorbildern und Idolen Oi-Punk-Rüpelbands, Alma Cogan, die New York Dolls, Sandie Shaw, die Sparks und Nancy Sinatra zählen: Man wußte nie, ob der das genau so will, ob er mehr will, als er kann, oder ob ihm überhaupt alles egal ist, solange es nur „originell“ klingt. Spätestens auf strangeways HERE WE COME (man höre die knarrigen, ähem, „Soul“-Anflüge!) stellte man fest: Der kann ja plötzlich richtig viel, und je mehr er kann, desto mehr will er. Die gewaltigen, tälerfüllenden, stratosphärigen Melodien, die man The Smiths gerne nachsagt, entstanden so richtig erst während Morrisseys Solokarriere, mit der er sich ebenso konseguent wie souverän aus dem Indie-Gestrüpp befreite und zum strahlenden, manchmal auch hinter Trenddampfwolken verborgenen Einzelstern am britischen Pophimmel wurde. In einer solchen Position liegen, insbesondere nach dem regelrecht herbeigebeteten Comeback im letzten Jahr, immense Risiken und Gefahren. Wie man die umgeht bzw. bewältigt, zeigt dieses Livealbum in beeindruckender Weise: Der Smiths-Evergreen „How Soon Is Now?“ [einer von sechs Smiths-Songs) eröffnet ein Set. das mit Coverversionen von Patti Smith und den New York Dolls, zwei ganz neuen Songs und nur einem wie zufällig eingestreuten aus den Jahren 1988-2004 [„The More You Ignore Me, The Closer I Get“] alles andere als eine geschmeidige Greatest-Hits-Revue ist. Die Band spielt stilvoll, kompetent und lebendig; viele der quar-RY-Tracks zeigen erst live ihre wahre Größe. Und der große, einsame, reife Mann trifft nicht nur jeden noch so entlegenen Ton, jeden noch so gewagten Bogen; er singt, daß man förmlich mit den Ohren schlackert: Alles, was man je an Abstrusitäten und Sonderlichkeiten von ihm erlebt hat. rundet sich nun zu einer Mischung aus schwindelfreier Improvisation, glühender Leidenschaft, sprühendem Witz und vollendeter Kunst, wie ich sie in dieser Perfektion und Makellosigkeit von keinem zweiten Sänger je gehört habe.

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