New Order :: Fünf Alben: Die ewigen Chaoten

Aus der Not geboren, zur Kultband mutiert: Wie sich die archetypische Indie-Band aus den Fängen der Düsternis befreite und zu einem absoluten Clubphänomen avancierte.

Was macht man nur, wenn der Sänger plötzlich nicht mehr da ist? Wenn eine Band ohne ein Aushängeschild auskommen muss, wie lan Curtis es war? Bernard Sumner, Peter Hook und Stephen Morris wollten weiter eine Band sein, so viel war klar, aber sie wussten nicht recht, unter welchem Namen und mit welcher Art von Musik. Die Dinge entwickelten sich langsam. Zuerst griffen sie wie schon bei Joy Division auf Nazi-Vokabular zurück und nannten sich New Order, was verständlicherweise kontrovers diskutiert wurde.

Der Name machte jedoch Sinn, immerhin hatte sich ja die Besetzung verändert. Mit Sumner als Sänger und Keyboarderin Gillian Gilbert, der Freundin von Morris, machte man sich an die Arbeit zu movement 3 . Hier erlebt man die Band bei einer Therapiesitzung. Der Schock des Verlustes von Curtis war noch nicht bewältigt, Joy-Division-Produzent Martin Hannett erwies sich im Studio zunehmend als Ekel, und eine musikalische Erneuerung war noch nicht zu erkennen. Aufschlussreicher sind da schon die der Sammleredition beigefügten Tracks „Temptation“ und „Everything’s Gone Green“, in denen sich der künftige New-Order-Stii der achtziger Jahre klar andeutete. In Sumners Stimme klingt Optimismus durch, man hört Popmelodien, und Morris beginnt die Band mit stoischen Beats anzutreiben. Im Grunde haben New Order erst mit power, corruption & lies 4 begonnen zu funktionieren. Der Opener „Age Of Consent“ begründete das Zeitalter der Mündigkeit. Die Grimmigkeit von Menschen aus dem Norden Englands konnte das Quartett zwar nie ganz ablegen, aber wenn New Order Lust auf Pop hatten, dann schlugen sie geradezu Purzelbäume. Wichtiger war, was sich sonst auf dem Album abspielte. Vor den Aufnahmen hatten sich die Herrschaften für kurze Zeit in der Clubszene New Yorks amüsiert und zu den Electro-Tracks eines Afrika Bambaataa oder Arthur Baker abgefeiert. Davon inspiriert, eröffnete man in Manchester in Zusammenarbeit mit Labelchef Tony Wilson den legendären Hacienda-Club. Auch die Musik wurde nun elektronischer. Nur war der Megahit „Blue Monday“ zur Überraschung vieler gar nicht auf dem Originalalbum zu finden. Die Band hatte bei ihrem Designer Peter Saville lieber eine 12-Inch in Form einer Floppy Disk in Auftrag gegeben, deren Herstellung so sündhaft teuer war, dass am Ende nichts an dem Track zu verdienen war. Einen erfolgreicheren Fall von kommerziellem Selbstmord wird man in der Popgeschichte kaum finden. Aber nun gibt es ja die Einrichtung einer Bonus-CD, und auf der sind hier neben „Blue Monday“ auch „Confusion“ und „Thieves Like Us“, weitere unvergessene Klassiker dieser Ära, enthalten.

Richtig groß wurde alles mit low-life 5 , dem essenziellen Album der Factory-Jahre. Die Single-Erfolge hatten der Öffentlichkeit die Ohren geöffnet, die Band war glücklich und bereit, die Akzeptanz mit einem für ihre Verhältnisse stromlinienförmigen Sound auszunutzen. „The Perfect Kiss“ kommt einem geballten Ausstoß von Glückshormonen gleich und hört sich nach einer langen Nacht auf der Tanzfläche an. Doch selbst in positiv berauschenden Phasen bewahrten sich New Order ihre Ecken und Kanten. Gillian Gilbert sieht es so: „Die Band war immer das Gegenteil von dem, was man als normal bezeichnet Etwas verschroben, aber dennoch durchhörbar.“ Da hat die Dame ein wahres Wort gesprochen. Niemand sonst hätte ein Album voller Popsongs mit dem Stück „Elegia“ versetzt. Das düstere Ding gleicht einem Ritt mit dem Joy-Division-Ross über die Spaghetti-Western-Prärie. Der Euphorie tat das zunächst keinen Abbruch. In einer Zeit, als es alle ehemaligen Post-Punk-Helden mit Macht in die Stadien zog, meldeten New Order ähnliche Ambitionen an.

Aber dann kam es doch anders. Dann kam brotherhood 3,5, der eindeutige Beweis dafür, dass man es hier nicht mit einer Band zu tun hat, die auf klassische Alben aus ist. Bis auf „Bizarre Love Triangle“ entdeckt man kaum einen Moment für die Ewigkeit – und selbst dieser Song klingt in der DJ-Bearbeitung von Shep Pettibone geradliniger. Peter Hook brachte seinen Einfluss stärker zur Geltung und dirigierte die Band in Richtung Rock. Ein klassischer Fehlgriff, der ein Jahr später mit der (auf der Bonus-CD in zwei Abmischungen enthaltenen) Single „True Faith“ korrigiert werden musste.

Letztendlich waren New Order immer dann richtig gut, wenn das Dance-Element wie auf technique 4,5 in den Vordergrund trat. In der Hacienda feierte man zu jener Zeit wilde Acid-House-Partys, und New Order suchten sich passend dazu den richtigen Aufnahmeort aus: Ibiza. Die Band war ständig in Clubs anzutreffen und dort engagierter als an manchen Tagen im Studio, wo die Feier meist weiterging. Hook musste sich dabei gegen die Dominanz der Synthesizergrooves zur Wehr setzen, was ihm nicht immer gelang und zu Spannungen führte. Das Album war letztendlich ein Vorbote für das, was in den Neunzigern kommen sollte. New Order hinterließen eine Duftnote, an der die Manchester-Rave-Bands, Primal Scream und sogar U2 kräftig schnupperten. Rock- und Clubmusik – von da an trennten sie keine Welten mehr.