Of Montreal :: Paralytic Stalks

Kevin Barnes dreht endgültig ab: Mit Klassikmusikern erforscht er die Abgründe der Psychedelia.

Etwas ist dann doch noch beim Altem geblieben: Wie bei den bisherigen zehn Alben von Of Montreal ist auch das Cover von Paralytic Stalks von David Barnes gestaltet worden. Doch in der psychedelischen Verpackung steckt eine Überraschung: Davids Bruder Kevin Barnes, Kopf von Of Montreal, hat den Sound seiner Band gründlich renoviert. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Renovierungen hat das Ergebnis keine blendend weißen Wände bekommen, sondern ist noch komplexer, verwegener, verflochtener, als man es von Of Montreal ohnehin schon gewohnt war. Barnes hatte im Vorfeld angedroht, Paralytic Stalks könnte „ein bisschen esoterischer“ werden als frühere Werke der Band, und manchem Anhänger, fürchtete Barnes, könnte die Neuausrichtung nicht gefallen.

Tatsächlich war es ein sehr langer Weg von Of Montreals naiven, bittersüßen Lo-Fi-Anfängen Ende der 90er-Jahre über die Experimente mit Sixties-Pop und artifiziellem Funk bis zu den überbordenden Kammermusiken von Paralytic Stalks. Für die hat sich Barnes vornehmlich von modernen Komponisten des 20. Jahrhunderts, namentlich György Ligeti, Krzysztof Penderecki und Charles Ives, inspirieren lassen. So trifft man zwar immer wieder, am auffälligsten so in „Ye, Renew The Plaintiff“, auf die Vorliebe für die Beatles, die Barnes seine ganze Karriere hindurch nie aufgegeben hat, aber es sind diesmal ganz eindeutig die experimentierfreudigen und bereits sehr bekifften Beatles in ihrer mittelspäten Periode. Wie die damals ihre Musik ausufern und wuchern ließen, so wuchern und wachsen auch Of Montreal. Einerseits personell, denn Barnes hat mittlerweile ein halbes Kammerorchester verpflichtet. Andererseits wuchert im Kopf von Barnes das Böse wie ein Krebsgeschwür, er scheint nur von den Abgründen des Lebens zu singen, von schlaflosen Nächten und peinigenden Fantasien, vom Leiden, aus dem es kein Entrinnen gibt, und von erschreckend drastischen Gewaltfantasien.

Vor allem aber wuchert die Musik. Wunderschöne Popmelodien verlieren sich in besinnungslosem Prog Rock, kleine elektronische Spielereien tummeln sich in liebevoll gestalteten Klangräumen, psychedelische Gimmicks vertreiben die wenigen Momente reiner Popseligkeit. In „Exorcismic Breeding Knife“ schließlich kommen die neuen, klassisch geschulten Bandmitglieder ausführlich zum Einsatz: Das siebeneinhalb Minuten lange Stück klingt allerdings über weite Strecken wie die Aufwärmübungen eines Ensembles für Neue Musik.

In Gänze ist Paralytic Stalks wie eine Reise ins Wunderland: Gleichzeitig wundervoll und bedrohlich, vor allem aber gibt es so viel zu sehen, dass man allzu leicht die Orientierung verliert. Kevin Barnes hat etwas gewagt. Er war vielleicht auch überambitioniert. Aber es ist sehr schön, ihm beim Scheitern zuzusehen.

Key Tracks: „Dour Percentage“, „Malefic Dowery“, „Exorcismic Breeding Knife“

Artverwandtes: The Beatles The Beatles (1968) The Flaming Lips Yoshimi Battles The Pink Robots (2002)