
Der legendäre Underground-Filmemacher George Kuchar verbrachte jedes Jahr seine Ferien in dem Kleinstädtchen El Reno, Oklahoma, um dort die Tornados zu beobachten. Weil er aber nicht Auto fahren konnte, blieb er meist in seinem billigen Motelzimmer, schaute TV und filmte durchs Fenster den Regen. Die Reisen zum gefährlichen Wetterphänomen, bei denen die berühmten „Weather Diaries“ entstanden, waren eigentlich Reisen ins eigene Selbst.
Chuckamuck-Mastermind Oska Wald reiste für sein erstes Soloalbum MOTEL RENO direkt und ohne Umwege ins Ich, wo der Berliner zwar Abgründe, aber vor allem Ödnis fand, eben jenen belanglosen Alltag, der uns alle plagt. Seine ersten drei Jahrzehnte Leben hakt Wald im zwei Minuten und eine Sekunde langen Opener „Was bisher geschah“ ab, dann geht es ans Eingemachte: „Morgens Elmex, abends Aronal“, schnurrt, schmachtet, stöhnt Oska Wald, als ginge es nicht ums Zähneputzen, sondern ums Liebemachen. Er liest auf dem Klo ein Buch über Kornkreise, er zählt, wie viele Matroschkas ineinander passen, und hofft, das hilft gegen die Langeweile des Daseins.
Der direkt von Kuchar inspirierte „Stormchaser“ sieht jeden Tag nur immer denselben Regen, der Text von „Pizza Amore“ ist kaum mehr als die Speisekarte des Lieferservices. Dazu torkelt die Musik so ziellos von Folk über Country ins Lateinamerikanische, von der Könnerschaft zum Dilettantismus und zurück wie die Texte von Dada über unzählige Metaebenen bis zum hellsichtigen Schwachsinn. Und Oska Wald stolpert direkt in seine neue Rolle als Helge Schneider des Lo-Fi-Folk.
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