Ougenweide – Fryheit
Gustav Heinemann, der verstorbene Bundespräsident und ein engagierter Verfechter deutschen Geschichtsbewußtseins, forderte 1970 das freiheitlich-demokratische Deutschland auf, seine Geschichte bis in die Schulbücher hinein anders zu schreiben. Diesem Ansinnen sind mittlerweile einige Verlage gefolgt, und nun erhält die Bewegung, unsere eigene Geschichte neu und bewußt zu analysieren, frischen Antrieb – durch Rockmusik. Wer anders als Ougenweide haben mit „Fryheit“ eine fantastische Platte produziert, die textlich wie musikalisch vollauf befriedigt. Die Musik, mit Instrumenten wie Bombarde, Musette, Bouzouki, Marimbaphon oder Harmonium um etliche Facetten bereichert, klingt interessant genug, um schon ohne die Texte überall Freunde zu gewinnen. „Lützow’s wilde, verwegene Jagd“ etwa besäße Hitchancen, wenn, ja wenn die Texte nicht untrennbar dazugehörten. Und diese Texte bergen manchen Hintergrund zum Verständnis (und Fehlverständnis) unserer Geschichte.
Ougenweide beginnen mit Liedern aus dem Bauernkrieg 1524/ 25. streifen den 30jährigen Krieg, gehen über Napoleon und Robert Blum bis hin zum Bundestag in der Frankfurter Paulskirche 1848. Doch wer durch diese Aufzählung abgeschreckt wird und an staubigen Geschichtsunterricht in der Schule denkt, dem sei gesagt, daß diese Ereignisse in einer Weise nähergebracht werden, für die Ougenweide uneingeschränkt Lob verdienen. Die Musik und die Art der Textvorträge bieten eine intensivere Beschäftigung mit dem Objekt geradezu an. Nur die erklärenden (?) Worte auf dem Cover geben Anlaß zum Kopfschütteln: Kurze, mitunter rerßerisch wirkende Kommentare zu jedem Lied. Da bemerkt man erstens keinen Ansatz zur Problematisierung, womit jede didaktische Sichtweite für die Katz ist, und zweitens sind einige der dabei gebotenen Fakten einfach falsch oder unvollständig: Lützows Freikorps war im Kampf gegen Napoleon völlig unwichtig, worauf man hätte hinweisen müssen; eine große deutsche Bauernrevolution (Revolution??) hat es nie gegeben; der Salz, daß der Krieg den Krieg ernähren müsse, stammt nicht von Gustav II. Adolf, sondern von Albrecht von Wallenstein, und Napoleons Schlacht an der Beresina hat auch nicht stattgefunden. Mithin ein reichlich bitterer Wermutstropfen in diese ansonsten vorbildliche Platte.
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