Rammstein – Sehnsucht

Es dürfte sich bis in die letzten Redaktionsstuben herumgesprochen haben, daß Rammstein entgegen allen Vorurteilen Gewalt nicht verherrlichen, geschweige denn irgend etwas mit faschistischen Gedankengut am Hut haben. Mehr als 300.000 Käufer des Debütalbums HERZELEID haben sich ihr eigenes Bild von der kontroversen Crossover-Metalgruppe aus Ostberlin und Schwerin machen können. Der von befremdlichen Samples durchsetzte, knüppelharte Industrial-Metal und die zartbitteren Texte von Sänger Till Lindemann bieten eine riesige Projektionsfläche, auf die die Hörer ihre ureigenen Ängste, Triebe und verdrängten Dämonen gleich einer Diaschau der Seelenqualen werfen kann. SEHNSUCHT handelt von den bekannten Rammstein-Themen Inzest, Sexualmord, große Gefühle und allerlei Unerfülltes zwischen Mann und Frau. Neu dagegen ist, daß Lindemanns Stimme auch jenseits der Gruft-Tonlage strahlen kann und seine Texte diffiziler, fast lyrisch, geworden sind seine HERZELEID-Lieblingsworte „Blut“ und „Fleisch“ jedenfalls tauchen nur noch selten auf. Auch musikalisch sind Rammstein gereift, die Gitarren haben an Schneid gewonnen, und etliche ausgefeilte Samples und Synthie-Sounds aus dem Morricone-Klangbaukasten geben den Songs unerwartete Italo-Western-Akzente. Vielleicht liegt genau hier der Weg, den Rammstein weitergehen muß: Nachdem sich die Metal-Bausteine langsam aber sicher abgerieben haben, wird das kommende Album rockmäßig kaum noch einen draufsetzen können. Filmmusik liegt in der Luft. Oder eine kleine Oper.