Scissor Sisters :: Night Work
Polydor/Universal
D.I.S.C.O. – Das Drama, der Indianer, der Sex, das Chaos und der Orgasmus
Das neue Jahrzehnt giert nach einem neuen Sound. Den wird es aller Voraussicht nach, wie schon das vergangene, nicht finden. Aber noch gibt der Popkanon reichlich Genres her, die auf ein großflächiges Revival hoffen. Am lautesten und schrillsten ruft die zu ihrer Zeit von Kritikern so arg verpönte 70s-Disco: „Hier!“ Kylie Minogue steht in den Startlöchern, Jessica Six trainieren seit Jahren in Untergrundclubs, Die Sterne haben ihr Team um Munk-Mann Mathias Modica verstärkt. Noch bevor der große Run beginnt, wurden sie alle überholt. Die Scissor Sisters sind mit ihrem dritten Album in Führung gegangen. Einzig Andrew Butler, dessen Hercules And Love Affair sich am Horizont bereits in Stellung bringen, könnte ihnen jetzt noch Beats zwischen die Beine schleudern. Für den Moment aber dürfen sie feiern: Immerhin mussten sie zuvor, hoch dramatisch, ein komplettes Album an Material einstampfen, weil sie nicht dahinter standen. Dann ging Sänger Jake Shears auf dreimonatigen Partyurlaub nach Berlin und kam von dort mit den Ideen für NIGHT WORK zurück. Die Diskokugel knallt schon beim peitschenden, albumtitelgebenden Opener zu Boden. Was für ein Auftakt! Drei Minuten nach Partybeginn schon alles in Scherben. Kurze Erholung mit dem „Just An Illusion“-artigen „Whole New Way“. Auch die Single „Fire With Fire“ kommt zum richtigen Zeitpunkt: Die bettelt so jämmerlich um Dauereinsatz auf Antenne Niedersachsen, das man sich beschämt abwendet. Also raus, austreten, rauchen, unwichtige SMS doch noch beantworten – irgendwas, Hauptsache, das Putzpersonal hat genug Platz und Zeit, das Chaos von eben wegzukehren. Nach dem arschglatten Song will und muss schließlich sicher weitergetanzt werden, Safety Dance. Noch das beste an diesem offiziellen „I Don’t Feel Like Dancin'“-Nachfolger: Er lockt die sonst zu Westernhagen mitwippende Hausfrau zum Kauf des Albums, mit seinem tighten Herrenhintern vorne drauf. Auf der Heimfahrt vom Einkaufszentrum gibt sie sich dann zu den Zeilen „Take me anyway you like it / In front of the fireplcae / In front of your yacht / In front of my parents / I don’t give a damn, baby, just take me“ (aus „Any Which Way“) errötend Fantasiewelten aus dem „Traumschiff“ hin, parkt den Wagen vor dem nächstbesten Supermarkt und holt zwei Flaschen Rotwein fürs Abendessen mit dem eigentlich doch ganz okayen Ehemann. Die Scissor Sisters führen zusammen: Musikfreund und Musikliebhaber, Mann und Mann, Frau und Frau, Frau und Mann, Mensch und Tier (ob es ein Zufall ist, dass sich das brutal betitelte „Skin This Cat“ musikalisch an Nine Inch Nails „Closer“ – „I wanna fuck you like an animal“ – anlehnt?), Rock und Disco („Harder You Get“ hätten die Dandy Warhols auf ihrem halbbefriedigenden Dancealbum WELCOME TO THE MONKEY HOUSE gut gebrauchen können), Oldschool und Newschool („Any Which Way“ geht von der typischen NuRave-Sirene in einen typischen 70s-Discobass über). Q: Are we human or are we dancer? A: We are Scissor Sisters! And so are you! … und der Indianer? Ach so, nein, das war jemand anderes. Aber egal, den müssen Sie, spätestens ab jetzt, sowieso nicht mehr kennen.
Artverwandtes: Soundtrack Saturday Night Fever (1977) Mika Life In Cartoon Motion (2007)
www.scissorsisters.com
Story S. 42
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