Stabil Elite :: Douze Pouze

Neo-Kraut-Electronica: Das Trio aus Düsseldorf betreibt auf seinem Debütalbum lokalpatriotische Traditionspflege.

Wenn von Stabil Elite die Rede ist, muss auch über Düsseldorf gesprochen werden. Nicht erst seit „Verschwende deine Jugend“, Jürgen Teipels Standardwerk über Punk und New Wave aus Deutschland, ist bekannt, dass die Stadt am Rhein Ende der 70er-Jahre/Anfang der 80er-Jahre im Pop tatsächlich etwas hervorgebracht hat, das anderen Städten, Regionen und mythischen Orten kulturromantisch erst in der Retrospektive angedichtet wurde: eine homogene Subkulturszene, in der jeder mit jedem künstlerisch verbandelt war.

Drei wesentliche Bands der sogenannten Neuen Deutschen Welle stammen aus Düsseldorf und sind trotz ihrer denkbar weit auseinandergehenden Stile inzestuös miteinander verbunden, was ihre Besetzungen betrifft: Deutsch-Amerikanische Freundschaft, Fehlfarben und Der Plan. Diese drei Bands stehen aber auch exemplarisch für die drei grundsätzlichen popkulturellen Errungenschaften Düsseldorfs – Punk/NDW, Elektronik/Elektro-Akustik und Dada-Pop. Und die werden von Stabil Elite, dem Trio Lucas Croon, Martin Sonnensberger und Nikolai Szymanski, musikalisch verarbeitet und auf aktuellen Stand gebracht, so wie das eine Generation vor ihnen von Bands wie Kreidler, To Rococo Rot und Tarwater getan wurde. So ist Douze Pouze in all der vermeintlichen Post-Modernität der Band, die sich nach dem fiktiven Konzern in Tom Toelles visionärem 1970er-TV-Film „Das Millionenspiel“ benannt hat, ein zutiefst traditionalistisches Debütalbum. Auch weil es noch weiter zurückgeht in der Geschichte deutscher Avantgardemusiken vom Rhein, von Kraftwerk und Neu! erzählt, damals in den frühen 1970ern. Vor dem Hintergrund der aktuellen Retromania-Debatte darf angemerkt werden, dass Traditionalismus per se keine schlechte Sache ist, zumal wenn er sich auf Avantgarden bezieht, die auf ewig den Minderheiten vorbehalten bleiben und wenn er nicht restaurativ betrieben wird.

Wahrscheinlich aber verschwenden Stabil Elite keinen einzigen Gedanken an ihre Stellung in der Musikwelt, daran, in welcher Schublade ihre Musik später einmal abgelegt werden soll. Der Wunsch nach Einzigartigkeit ist das Kennzeichen der Avantgarden und verhindert die Vereinnahmung durch gewisse Szenen. Durch manche Songs („Hydravion“, „Aether“) auf Douze Pouze zieht sich zum Neu!-Beat der Glockenklang des Mini-Moog aus Kraftwerks „Autobahn“. In „Agent Orange“ adaptieren Stabil Elite das weltmusikalische Kraut-Gejamme von den Kölner Nachbarn Can. „Expo“ ist ein metallisches Mantra zwischen Minimal Music und früher experimenteller Elektronik. In „Milchstraße“ singt Lucas Croon roboterhaft wie der junge Ralf Hütter zu einer sphärischen Begleitung, die im Kontrast dazu einen funky Groove entwickelt. Gitarrist Sonnensberger steuert Minimal-Licks bei wie einst Phelps Collins bei den J.B.’s. Anderes („Revue 12“) auf diesem Album bleibt im Wortsinne unfassbar. Bei Stabil Elite fließen die Stile ineinander und verschmelzen. Es ist die Aufarbeitung von 40 Jahren Musikgeschichte, die in den vergangenen 20 Jahren bereits im Zeichen der Aufarbeitung gestanden hat. So wird aus der Retromanie zweiter Ordnung etwas originär Neues, und manchmal entsteht in diesem wundersamen Sammelsurium sogar so etwas wie ein kleiner Popsong.

In ihren Texten stehen Stabil Elite in der Tradition großer Düsseldorfer Minimallyriker wie Kraftwerk und Der Plan. Bei denen war das Spiel mit der Sprache, der kinderliedhafte Reim, der mit erwachsenem Ernst vorgetragen wurde, mitunter wichtiger als eine interpretationsfähige Aussage. Einmal singen Stabil Elite zu einer elektronischen Minimal-Pop-Begleitung: „Drei gerade Zahlen / verlassen meine Stadt / brechen in die Welt / und baden gerne nackt“. Musik und Text lassen bei Stabil Elite großen Interpretationsspielraum. Das wahrt das Geheimnis. Guter Pop ist halt immer auch ein Mysterium. Der Stoff, aus dem die Legenden von morgen gemacht werden. An denen können sich dann die nächsten Generationen abarbeiten.

Key Tracks: „Hydravion“, „Papier“, „Agent Orange“

Story ME 12/2011, CD im ME 1/2012

****** der helle Wahnsinn