Stevie Wonder :: At The Close Of A Century
Ehre, wem Ehre gebührt: mehr als 300 Minuten Musik auf vier CDs, 70 Songs aus 33 Jahren, 92-seitiges Booklet mit allen Schikanen (erhellende Essays von David Ritz und Leonard Pitts Jr, unveröffentlichte Fotos satt, diverse Discografien) – da kann man nicht meckern. Gerade ist Stevie Wonder 50 geworden. Kaum zu glauben eigentlich, dass der Mann mit dem straff gebundenen Zopf und der eigenartigen Schaukel-Motorik noch nicht älter ist-nach all dem, was er musikalisch geschaffen hat. Die Box würdigt, dokumentiert, illustriert und kompiliert die Entwicklung dieses Multi-Instrumentalisten bis ins Detail. Und das mit viel Gespür für die wirklich bedeutenden Phasen und Stationen dieser einzigartigen Karriere. Kein Wunder, schließlich hatte der Meister bei der Produktion des Box Sets persönlich als executive producer seine Finger im Spiel. Wer sich ATTHE CLOSE OF A CENTURY am Stück angehört hat, versteht denn auch, warum der Mann schon früh als „Wonder“-knabe galt und heute unbestritten zu den wichtigsten Musikerpersönlichkeiten der letzten Dekaden gerechnet wird. Die Zusammenstellung zeichnet, streng chronologisch, Wonders Weg vom talentierten Youngster über den sich emanzipierenden Twen bis zum Künstler mit eigener Vision eindrucksvoll nach. CD i widmet sich den frühen Jahren und startet mit dem Hit-Debüt des 13-Jährigen, dem live mitgeschnittenen Harp-Furioso „Fingertips“, das im August 1963 Platz 1 sowohl in den R&B- wie auch den Popcharts erreichte. Weiter werden neben diversen Album-Tracks die frühen Gassenhauer wie“Uptight“, „For Once In My Life“ oder „Yester-Me, Yester-You, Yester-Day“ geboten. Und die entsprechen noch ausnahmslos der üblichen Motown-Formel, die auch auf die klanglichen Eigenheiten (oder besser: Schwächen) der in jenen Tagen aufkommenden Transistorradios abgestimmt war: präsente Rhythmusinstrumente, Stimmen weit nach vorn gemischt und möglichst optimistische Melodien. Trotz der standardisierten Produktion wird in der musikalischen Chronologie schon bald Wonders ausgeprägte Individualität erkennbar unter den rigiden Umständen, die seinerzeit im Hause Motown herrschten, umso erstaunlicher. So experimentierte Wonder schon in den 60er Jahren mit eigenwilligen Instrumentierungen und ungewöhnlichen Arrangement-Ideen, war den Beatles mitunter näher als seinen Labelmates Temptations, Supremes oder Four Tops. Bei all dem blieb er jedoch noch artig auf dem Teppich und im kommerziell einträglichen Pop-Format der Drei-Minuten-Radiohits. Wohl die wichtigste Zäsur in Wonders Karriere bildet das Jahr 1971: Sein Vertrag bei Motown wurde neu verhandelt, er erkämpfte sich künstlerische Unabhängigkeit und konnte nun erstmals frei von kommerziellen Zwängen seine Musik entwickeln. Das erste Album des nun souveränen Stevie, MUSIC OF MY MIND, wirkte noch ein wenig unstrukturiert; aber schon der Nachfolger TALKING BOOK, nur wenige Monate später auf dem Markt, überzeugte in jeglicher Beziehung und warf mit „Superstition“, das CD 2 eröffnet, einen satten Millionenhit ab. INNER-VISIONS von 1973, hier mit acht Stücken gewürdigt, festigte Stevie Wonders neuen Status als Black-Music-Vordenker. „The 12 year old genius“, wie er einst genannt wurde, war erwachsen geworden. Geschickt integrierte er nun Rockund Jazzelemente in seinen Soul, die Lyrics reicherte er mit sozialkritischen Tonen an. CD 3 beschäftigt sich mit den rundherum perfekten SONGS IN THE KEY OF LIFE, wohl dem Höhepunkt in Wonders Schaffen, dem ambitionierten JOUR-NEY THROUGH THE SECRET LIFE OF PLANTS sowie dem Material des kommerziell supererfolgreichen HOTTER THAN JULY. Die zweite Hälfte der 70er Jahre zeigt den Maestro auf dem Zenit, leicht lässt sich hier nachvollziehen, wie Wonder die schwarze Musik öffnete und sich damit den riesigen weißen Popmarkt erschloss. Einer der Gründe für seinen immensen Erfolg: Wonder blieb bei aller Körperlichkeit in seiner Musik der Melodie verpflichtet, die harte Motown-Schule der 60er Jahre machte sich nun bezahlt. CD 4 indes fällt naturgemäß etwas ab. Denn in den 8oern schien dem Komponisten Wonder bis auf einige Sonntagsschüsse („I Just Called To Say I Love You“) die Munition auszugehen. Zudem geriet ihm gelegentlich etwas zu viel modischer Produktionsnippes aufs Band. In den 90er Jahren scheint Stevie Wonder gar nicht erst angekommen zu sein, die HipHop-Ästhetik ist ihm offenbar bis heute fremd geblieben. Das Spätwerk, von manchen abfällig unter „Schmock“ sortiert, offenbart trotzdem noch immer einen großen Stilisten. Fazit: Diese Box ist ein musikalisches „Wonder“-Werk. Hut ab und happy birthday, Stevie!
Mehr News und Stories