The Singles
Augenzeugenberichten zufolge sollen BOVS Noize & Erol Alkan beim diesjährigen Melt-Festival ein Ping-Pong-DJ-Set hingelegt haben, das sich gewaschen hat. Eine Ahnung davon gibt „Waves / Death Suite“ (Boys Noize Records/RoughTrade), die 12-Inch-Kollaboration des Berliner Techno-Wahnsinnigen mit dem Londoner Techno-Wahnsinnigen. „Waves“ ist ein gar nicht mal so ballernder, aber schön nervöser Eleetro-Track, der nach einem Drittel der Spielzeit nach tribalistischem Getrommel in eine andere, effektbeladene Richtung abbiegt. „Death Suite“ erfüllt dann eher die Erwartungen. Es dauert ein bisschen, bis nach gebremsten Beats und Bässen die quietschende Acid-Sau freigelassen wird.
Gepriesen sei CATHOLIC, das verschollene Album der Discolegenden Patrick Cowley & Jorge Socarras (auf Seite 141 zum Beispiel).
„Soon“ (Macro Recordings/Word And Sound), dieser metallische, düstere Proto-Electro-Track, wird für die begleitende 12-Inch im „Morgan Geist Retnix“ zu einem gewaltigen Industrial-Tech-Monster. Dazu: der großartige, abstrakt knarzende „K1NK Remix“.
Die neue Single vom Album TEl’FEWKRK, „The DJ“ (Gigolo/Rough Trade) von DJ Hell Feat. P. Diddy, ist ein veritabler DJ-Diss. Diddy schimpft im wunderbaren Freestyle auf die Motherfuckcr unter den DJs, die von einem motherfucking 13-Minuten-Track einen motherfucking Vier-Minuten-Edit spielen. Andererseits sind ihm die Mothertucker, die motherfucking 20-Minuten-Versioncn spielen, auch nicht recht. Und da kommt der Motherfucker von Radio Slave daher und macht aus dem motherfucking Originaltrack eine motherfucking 28-Minuten-Version, die düster rumpelnd beginnt, über die gesamte motherfucking Reise ein paar motherfucking Eckpunkte der motherfucking (nicht nur) Elektronikwelt (Techhouse, Ambient, Prog, Psychcdeha) streift und dabei einen ganz eigenen motherfucking Groovc aufnimmt. Dazu: vier weitere mothertucking Remixe (Paul Woolford, Deetron, Jay Hazc, Sis). Über 60 motherfucking Minuten motherfucking Spielzeit.
Das zweite Album des schottischen Electropoppers Calvin Harris, READV FOR THE WEEKEND, hat hohes Daran-muss-ich-mich-erst-gewöhnen-Potenzial. Aber in kleinen Dosen sind die Tracks, auch die zweite Single „ReadyForTheWeekend“(MinistryOf Sound/Edel), durchaus genießbar. Die bewegt sich am Rande des Mika-Popkitschs mit Streichern und Mary Pearces soulröhrigem Backgroundgesang.
Die als Leaderin und Sidewoman (Client, Bat For Lashes) gleichermaßen viel beschäftigte Charlotte Hathei’ley hat sich zur Antriggerung ihres nächsten Albums NEWWORLDS was einfallen lassen: Die 7-Inch „White“ (Little Sister Records/Rough Trade) erscheint -wie passend -auf weißem Vinylund in streng limitierter 500er-Auflage. Wollen wir nicht viel Worte über den flockigen Sixtiespopper auf der A-Seite verlieren, sondern gleich die Platte umdrehen. Da gibt es „White Pt. 2“ featuring Squarepusher. Das ist nicht die erwartbare Breakbeat-IDM-Weirdness, sondern eine „fein ziselierte“ Semi-Akustik-Folkvcrsion.
Als Inspirationsquelle für autoreferenzielle Anspielungen, die keiner versteht, hätte diese 12-Inch einen Monat trüher kommen müssen: „Berlin Calling Vol. 1“ (BPitchComrol/RoughTrade) von Paul Kalkbrenner aus dem gleichnamigen Film (ohne „Vol. 1“ im Titel) mit Kalkbrenner in der Hauptrolle. Die drei Tracks meiden die technoide Überholspur, gefallen sich in einer eher impressionistischen bis melancholischen Klangmalerei, die wahrscheinlich ein Bild von Berlin zeichnen will. „Aaron“ kommt mit schönen, gesampelten Gitarren- und Piano-Breaks. Wie David Bowies, oder besser: Brian Enos IM in etwas optimistischer.
Schon wieder: Italo-Disco. Erol Alkan kriegt sich nicht ein wg. des zehnminütigen Wahnsinns-Monster-Tracks „Moda“ (Retro/Grade) von Retro/Grüde, der klingt wie vier Tracks in einem. Hinter diesem Projekt stecken Serge Santiago und Tom Neville. Trotz Giorgio-Moroder-Beats und ultragrellen Synthies aus der Grauzone zwischen Disco und House ist das weniger retro als alle anderen Versuche auf diesem Gebiet, sondern die Verzeitgeistigung von Italo-Disco.
Wie ein Fremdkörper wirkt Horst Sdllämmer mit „lsch kandidiere!“ (Warner) in diesem Umfeld. Aber in welchem täte er das nicht? Nicht abschrecken lassen von der affirmativen Anziehungskraft, die Hape Kerkelings Kunstfiguraul Krethi und Plethi ausübt, die den ja alle irgendwie total lustig finden. Der passt schon, der Schlämmer, auch wenn diese Single („Der kürzeste Soundtrack der Welt!“, Schlagerparodie, ein Song mit Bernhard Brink) niemand braucht.
Olivier Spencer (Rub-N-Tug) und Eric Duncan (Mr. Negative) hatten mit „Still Going Theme“, der ersten 12-lnch ihres Projekts Still Going, das Piano als Leadinstrument in der housigen Disco wieder eingeführt. Das Klavier ist zwar auf „Spaghetti Circus“ (DFA) auch noch da, aber der funky Titeltrack mit der galoppierenden Bassline leidet an einem Zuviel von allem – „rockige“ Gitarre, Overacting im Gesang von Reggie Watts, „Überproduktion“. Die B-Seite „Untitled Love“: ein relaxter Schlafzimmer-Funk-Souler, circa „Bakerman“. Gaststars: Tim „Love“ Lee und Andrew Raposo (früher Hercules And Love Affair, jetzt Jessica b).
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