Thomas Melle :: 3000 Euro

Einmal klappert Anton, eine der beiden Hauptfiguren in diesem Roman, die Orte seiner Vergangenheit ab. Dabei kommt ihm eine Phrase in den Sinn: „Draußen auf Kaution, so nennt er das, irgendwen zitierend, der schon lange keine Rolle mehr in seinem Leben spielt.“ Nun hätten wir die Comeback-Tour zu 20 Jahren L’ETAT ET MOI nicht gebraucht, um das Blumfeld- Zitat zu erkennen, eine Band, die wohl so manchem Studenten in den 90er-Jahren geflügelte Worte für den Hausgebrauch schenkte.

Ein solcher Student war auch Anton, ein durchaus hoffnungsvoller sogar, in Jura. Daneben spielte er in Bands, feierte lang und hart. Irgendwann fing irgendwie der Abstieg an. Die titelgebenden 3000 Euro sind die Summe, die Anton schuldet; eigentlich nicht die Welt. Und dennoch reißt der Prozess um diese Summe ihm den Boden weg. Er landet auf der Straße und im Obdachlosenheim, die Freunde gruseln sich vor ihm. Was dieses Schicksal so berührend macht, ist, dass etliche Leser die paar Abzweigungen erkennen dürften, an denen auch ihr Leben diesen Weg hätte einschlagen können – oder sogar noch könnte. Und dann werden die Erinnerungen an „irgendwelche Flaneure in den Zwanziger- oder Nullerjahren“ plötzlich arg wohlfeil, wenn sie beim ziellosen Irren durch den Tag auftauchen, während existenzielle Not plagt.

Auf seinem Weg nach unten begegnet Anton einer Supermarktkassiererin, die sich im Abstiegskampf unserer Gesellschaft als alleinerziehende Mutter über Wasser hält, allerdings auch, indem sie in Pornovideos mitspielt – und seitdem mit der Angst lebt, von den Voyeuren erkannt zu werden. Natürlich ist die Konstellation, um die es in diesem Roman geht, etwas sehr plakativ und hingedrechselt – aber das war auch schon die von „Sickster“, Thomas Melles gefeiertem Debütroman. Damals waren es Aufsteigertypen, an deren Gedankenwelt, an deren blinde Flecken der Autor nahe heranging. Diese Genauigkeit in der Sprache wie in der Psychologie seiner Figuren machen Melle zu einem herausragenden Autoren, als der er auch von der Jury zum Deutschen Buchpreis erkannt wurde: Sie wählte „3000 Euro“ unter die letzten sechs bei der vieldiskutierten Auszeichnung. Verdientermaßen.