U2 – The Joshua Tree – 20th anniversary edition :: Horizonterweiterung
Bevor U2 begannen, trendige Club-Elektronik in ihre Musik zu integrieren, bevor der Ersatz-Messias Bono Vox sich in „MacPhisto“ verwandelte, entwarfen sie noch schnell jenen Meilenstein, der ihrem Ruf „als dynamischste Band ihrer Generation“ am ehesten gerecht wird: the joshua tree. 20 Jahre ist das her. Da Jubiläen sich besonders zur Wiederveröffentlichung von Platten eignen, verwundert es nicht, dass der Multimillionenseller nach digitaler Überarbeitung in gleich vier Formaten vorliegt: Liner Notes von Bill Flanagan, komplette Lyrics und unveröffentlichte Fotografien aus Anton Corbijns Archiv finden sich im Booklet der Standard-Version. Zwei audiophile 180-Gramm-LPs machen die Doppel-Vinyl-Ausgabe als Sammlerobjekt attraktiv. In der Deluxe Edition findet sich eine zweite CD mit B-Seiten und unveröffentlichten Session-Demos. Ein limitiertes Box-Set schließlich enthält zwei CDs, ein 56-seitiges Buch, fünf Drucke und eine DVD mit Konzertmitschnitten der „The Joshua Tree Tour“ aus dem Hippodrome in Paris, das US-Tour-Tagebuch und diverse Video-Clips.
Als am 9. März 1987 U2S fünftes Studioalbum erschien, hatten die vier Iren in der europäischen Musiklandschaft schon ihre Duftmarken gesetzt, galten als fixe Größe der Post-Wave-Ära. Geschätzt vor allem wegen ihres unerschütterlichen Arbeitsethos mit überproportional vielen Konzerten. Mühelos hatten die beiden Alben-Vorgänger war und the unforgettable fire die Pole Position der UK-Charts erklommen, auch wenn der lukrative US-Markt sich noch schwer tat mit predigenden Gutmenschen aus irischen Basisgemeinden. Zudem haftete der Band das Stigma an, der verpönten Old-School-Fraktion anzugehören. U2 eigneten sich Mitte der 80er trefflich als Idole für Startbahn-West-Gegner, strickende Grünen-Politiker, Menschenketten-Demonstranten und randalierende Autonome der örtlichen Hausbesetzerszene.
Ein Kurswechsel schien unvermeidlich, wollten U2 nicht mit der langsam sich zu Ende neigenden Ära „Jung-Spontisder-zweiten-68er-Generation“ untergehen. Den eher sperrigen Wave-Rumpel-Rock der Frühphase entsorgten sie schon mithilfe von Brian Eno und Daniel Lanois auf the unforgettable fire. Mit den beiden Experimentatoren als Produzenten erweiterte sich in mehrmonatiger Produktionszeit der künstlerische Horizont der Band mit the joshua tree quantensprungartig. Eingespielt in Bassist Adam Claytons Danesmoate House, im Privathaus von Gitarrist The Edge und in den Windmill Lane Studios in Dublin, definierte der elf Tracks umfassende Songzyklus U2S Neupositionierung im internationalen Rock-Environment.
Gleich mehrere Faktoren ließen the joshua tree zum Klassiker werden. Da wäre der atmosphärische Produkrionsstil von Eno/Lanois, der auf das typisch pompöse Digital-Bombardement verzichtete, das unzählige Albenwerke jener Ära dominierte. The Edges hypnotisches, von Michael Brooks entwickeltes „Infinite-Guitar-Technic“-Spiel, das eine Dekade zuvor wohl noch als „psychedelisch“ eingestuft worden wäre. Dass U2 sich als künstlerisches Kollektiv außerordentlich entwickelt hatten, was durch lobende Pressestimmen wie „The only band that matters“ unterstrichen wurde, belegte durchweg hochwertiges Songmaterial. Als eindrucksvolle Beispiele uramerikanischer Stiladaptionen lassen sich das balladeske „Running To Stand Still“, eine einfühlsame Bestandsaufnahme der Drogenproblematik in Dublin, sowie das tief im Country Blues verwurzelte „Trip Through Your Wires“
anführen. Fast schon Heavy Metal war „Bullet The Blue Sky“, eine Anklage gegen die aggressive Außenpolitik der USA unter der republikanischen Reagan-Regierung. Die unerschütterlichen Mütter der Plaza de Mayo, die zu Tausenden Ehemänner und Kinder verloren, als Videla und Galtieri 1976 Argentinien in einem Gewaltakt übernahmen und jene entführten und töteten, die sich ihnen widersetzten, wird in „Mothers Of The Disappeared“ thematisiert. Die Niederlage der Gewerkschaften im Bergarbeiterstreik der britischen National Union Of Mineworkers im Jahr 1984 inspirierte „Red Hill Mining Town Dies“. „One Tree Hill“ schließlich ist, wie der gesamte Longplayer, Bonos Freund und Roadie Greg Caroll gewidmet, der 1986 im Alter von 26 Jahren bei einem Autounfall in Dublin ums Leben kam.
Allein in Nordamerika erhielt the joshua tree fünf Mal Doppel-Platin plus 1988 einen Grammy in der Kategorie Best Album“. In Großbritannien bekam das Werk erstaunliche sechs Mal Platin. Immerhin Doppel-Platin gab’s in Deutschland. Die drei Singles, die das Album eröffneten, erzielten weitere Auszeichnungen, wohl auch, weil die Video-Clips auf MTV permanent rotierten. Auch hier vergaßen U2 nicht das Missionieren: „Where The Streets Have No Name“ beschreibt Ausschreitungen von arbeits- und perspektivlos gewordenen Jugendlichen in einer Metropole – ein verblüffend prophetisches Porträt der immer wieder aufkeimenden Unruhen in Pariser Vorstädten zwei Dekaden später. Als ein zwischen Glaube und Versuchung Verzweifelter outete sich Bono in „I Still Haven’t Found What I’m Looking For“. „With Or Without You“ schließlich kam so kryptisch wie einst John Lennons „Happiness Is A Warm Gun“: Stehen hier eine erkaltete Liebesbeziehung, ein in seinen Glaubensgrundsätzen Erschütterter oder schwerwiegende Suchtprobleme im Mittelpunkt?
Zum Mythos trugen aber auch Albumtitel und Artwork bei. Schließlich handelt es sich bei the joshua tree umjene Örtlichkeit in der kalifornischen Mojave-Wüste, an der die Leiche von Country-Rock-Pionier Gram Parsons mit Benzin Übergossen und verbrannt wurde. Die Covergestaltung übernahm U2s langjähriger Hof-Fotograf Anton Corbijn. U2 reisten im Dezember 1986 für drei Tage nach Kalifornien zur Fotosession. Der auf dem Backcover abgebildete Baum entwickelte sich zur Pilgerstätte der U2-Fans. Noch heute suchen sie jene Stelle (36°2O’2″ N, U7°44’47“ W) auf, obwohl das bizarre Gewächs mittlerweile nicht mehr existiert.
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