Wynton Marsalis – All Rise

Am Anfang stand der Blues. Und auch jetzt noch, entgegen allen Freejazz-Tendenzen, die sich in einem Jahrhundert Jazz herausgebildet haben, ist der Blues der Heilige Gral des Genres. Zumindest für Wynton Marsalis, der wieder einmal nicht anders kann, als sich an die Jazz-Roots zu ketten. Da aber Marsalis mittlerweile von seinen Dogmen abrückt und selbst mit Musikern zusammenarbeitet, die nicht aus der Black Community stammen, kam es jetzt zu einer Luxus-Begegnung. Mit dem Dirigenten Esa-Pekka Salonen, der für das Los Angeles Philharmonie Orchestra das ist, was Simon Rattle für die Berliner Philharmoniker, stemmte Marsalis jetzt sein Opus Magnum All Rise. Ein symphonischer Leckerbissen, der sich zwei CDs lang mit der Genese des Jazz beschäftigt und dabei natürlich nach New Orleans und zu Duke Ellington zurückkehrt. Doch Marsalis, dieser Mann mit dem ausgeprägten Sinn fürs Konservative, will diesmal überraschenderweise noch mehr. Mit einem Riesenaufgebot an Chören und gleich zwei Orchestern (u. a. mit dem Lincoln Center Jazz Orchestra) wagt er für ihn geradezu freche Sidesteps in Regionen aus Kunst- und Folkmusik, die den Blues von anderen Seiten schimmern lassen. Mal mit rhythmischen Reibungsflächen eines Igor Strawinsky, mal mit Fugen-ähnlichen Gebilden. Das hat dann durchaus Witz – zumindest aus der Perspektive von Marsalis, der sich dem Jazz hier allerdings nur von der kunstgewerblichen Seite genähert hat. An Lenny Bernstein kommt Marsalis einfach nicht ran.

www.wyntonmarsaus.com