Richard Ashcrofts neue Band kennt keine Genregrenzen


Nach drei missglückten Wiedervereinigungen mit The Verve und drei eher mäßig erfolgreichen Solo-Alben versucht Richard Ashcroft es noch einmal als Band-Sänger.

 

Die erste Single heißt „Are You Ready“ – Herr Ashcroft, sind Sie es denn?

Hell yeah! Und im Gegensatz zu früher bin ich heute bereit, zu akzeptieren, dass ich nicht weiß, was auf mich zukommt. Ein befreiendes Gefühl.

Das heißt?

Der Druck, der früher immer auf mir lastete ist weg. Ich erwarte nichts, plane nichts und harre einfach der Dinge, die da kommen mögen. Vielleicht gibt es die Band in zwei Wochen schon nicht mehr, vielleicht hält sie ein Jahr, vielleicht nehmen wir noch ein Album auf, ich lasse mich einfach treiben. Was ich jedoch weiß, ist, dass die Musiker von United Nations Of Sound einfach unfassbar gute Musiker sind, echte Ausnahmetalente.

Stimmt es, dass Ihre neuen Bandkollegen Sie erst einmal googeln mussten, bevor Sie im Studio ankamen?

Das habe ich in einem Interview behauptet, ja. Und: Ich befürchte es. Aber das ist total okay: Die Jungs stammen aus einem ganz anderen musikalischen Kosmos, es wäre doch sehr arrogant zu denken, dass sie mich kennen müssen. Woher auch? Die haben vielleicht „Bitter Sweet Symphony“ mal gehört, okay, aber es sicher nicht mit Richard Ashcroft oder The Verve verordnet.

Nike benutzte „Bitter Sweet Symphony“ früher einmal in einem Werbespot in der Halbzeitpause des Super Bowls.

So sieht es aus, ganz genau. Es ging mir nie darum, tausend Interviews in Amerika zu geben, das Land zu erobern. Es gab ein Video auf MTV, Ich war der Pausenfüller, der crazy white guy. Deswegen hatten die Jungs auch keine Ahnung, welche entfesselte Kraft da auf sie zukommt, als sie die Studiotüre öffneten, um mich hineinzulassen.

Das Album produzierte No. I.D., ein HipHopper, der viel mit Jay-Z zusammen arbeitet. REDEMPTION ist dennoch kein HipHop Album, oder?

Nein! Also nicht mehr als URBAN HYMNS ein HipHop-Album war (lacht). Mir geht es darum, die Genre-Scheuklappen loszuwerden: Soul-Musiker, HipHop-Produzent, Britpop-Sänger, darum, etwas Frisches zu erschaffen.

Sie waren schon früh daran interessiert, die Schubladen der Genre-Faschisten zu schließen: Ein bißchen DJ Shadow, ein bißchen Chemical Brothers …

Darum geht es doch auch! Ich glaube fest daran, dass wir diese einschränkende Denke endlich hinter uns lassen müssen. Als ich in New York ankam, reden wir lange darüber, wie frustrierend es ist, immer nur in seiner eigenen, beschränkten Welt verordnet zu sein. Das junge 21. Jahrhundert muss die nervigen Genregrenzen endgültig hinter sich zurücklassen Und es passiert bereits: Jay-Z nimmt einen Track mit Jack White auf, Lil Wayne spielt Gitarre und nimmt ein Rock-Album auf…

Das Momentum ist da, wir müssen uns freispielen von diesen albern Genre-Grenzen, die uns zu Sklaven des amerikanischen Radio-Marketings machen. Die Frage ist doch, ob man eine Seele hat – oder eben nicht. Wir sind alle müde und abgestumpft, aber jetzt ist der Moment da, das Feuer neu zu entfachen und die Barrieren im Kopf einzureißen…

… und darum, den Glauben nicht zu verlieren, aufzustehen und zu kämpfen.

Absolut. Die Kritiker haben Pete Townshend früher verrissen, als er erklärte, dass Pop-Musik eine Berechtigung hat, obwohl es zu seiner Zeit nur Drei-Minuten-Wegwerf-Schrott gab. Doch darum ging es ihm nie! Ich bin ebenso ein Kämpfer und erwarte das auch von anderen. Und glauben Sie mir: Als ich in den Chuck King Studios in New York ankam, wusste ich nicht, was passiert, ob wir zusammenarbeiten können, ob sich der ganze Aufwand überhaupt lohnen würde.

Und?

20 Songs in einer Woche, ein ziemlich guter Schnitt. Wir waren überrascht, wie sehr alles zusammenpasste.

In mancher der Lieder greifen Sie auf ein quasi-religiöses Vokabular zurück: „Born Again“, „Glory“. Was ist da los, Herr Aschcroft, hatten Sie eine Erleuchtung, von der Sie uns erzählen wollen?

Keine Angst, ich halte mich nicht für den Heiland und habe auch kein David-Koresh-Ding am Laufen. Aber Religion fasziniert mich, vor allem, dass die Religionen es geschafft haben, bestimmte Redewendungen und Wörter zu überfallen und komplett für sich einzunehmen. Wenn der Prophet tot ist, liegt es nicht mehr in seiner Macht zu kontrollieren, was mit seinen Ideen, Weisheiten und Weltmodellen geschieht. Deshalb habe ich auf dem letzten Album von The Verve auch einen Song „Judas“ genannt.

Judas?

Ja, Judas. Die Idee kam mir eines Morgens, als ich in der Nähe des Central Parks in einem Coffeeshop stand und bestellen wollte: Der Laden war voller abgehetzter Menschen, die auf dem Weg zur Arbeit waren. Die Angestellte fragte mich, was ich haben wolle. Ich antwortete: Einmal Café Latte. Sie fragte: Für wenn? Ich: Judas. Sie könne sich ja vorstellen, was dann passierte – ein Typ schreit: Café Latte for Judas! Und all die gehetzten Menschen auf dem Weg zur Arbeit drehten sich um und denken: Herr im Himmel!

Wer ist die arme Sau, die den Namen trägt, der seit 2000 Jahren tabu ist? In England schreien 50 000 Menschen im Fußballstadion „Judas“, wenn einer der Spieler den Club verlässt, seine Mannschaft verrät, um für eine andere Mannschaft zu spielen. Das ist doch verrückt! Ebenso verrückt ist es, wie in Amerika damit umgegangen wird: Jedes Mal, wenn ich in mein Hotelzimmer morgens um sechs zurückkam und auf gut Glück den Fernseher anschaltete, lief Gott TV – und zwar auf 60 Kanälen!

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