Richard Coles (The Communards)


Das Private war auch für die Communards politisch. Richard Coles und Jimmy Somerville kämpften im Synthie-Pop gegen Margaret Thatcher und für die Schwulen. 1988 trennten sich ihre Wege. Wir treffen Richard Coles im Pfarrhaus von Finedon in Northamptonshire. Seit acht Jahren wacht er als Pfarrer über 4 500 Schäfchen. Sein Leben teilt er mit dem Pfarrer der Nachbargemeinde und zwei Dachshunden.

Gehört die Geige in der Ecke dir?

Sie gehört David, meinem Partner. Fast jeden Tag musizieren wir gemeinsam. Er Geige, ich Klavier. Wir spielen gerade Arvo Pärt.

Hörst du noch die Communards?

Ich glaube nicht, dass ich überhaupt noch die Platten besitze. Auf meinem iPod sind wohl ein paar Songs, die mir jemand draufgespielt hat. Ich habe auch keine Memorabilien mehr. Alles ist mir abhandengekommen, wohl in meiner Drogenzeit.

War das während der Communards?

Nein. Wenn man so gewissen- und zwanghaft veranlagt ist wie ich, geht man diszipliniert ans Werk. Die Drogen kamen danach. Ich war 27 Jahre alt, hatte mehr Geld, als ich ausgeben konnte, und Ecstasy trat auf den Plan. Ein halbes Jahr lang genoss ich das Leben. Dann schlitterte ich langsam, aber sicher in den Abgrund. Als ich dem Tod ins Auge sah, hörte ich auf damit.

Was war schlimmer, das Popgeschäft oder Jimmy Somerville?

Ach. Jimmy und ich, wir hatten einfach genug voneinander. Es war mir bewusst, dass die Leute ihr Geld für Jimmy und seine Stimme ausgaben und nicht für mich an meinem Klavier. Sein Charisma und seine Originalität sind immer noch unglaublich. Aber wie viele große Sänger konnte er sehr schwierig sein im Umgang. Ich entwickelte so meine Ressentiments. Ich tat mich zunehmend schwer damit, dass er sofort alle Aufmerksamkeit auf sich zog, sobald er einen Raum betrat. Noch schwerer war es, mir das selbst einzugestehen. Ich benahm mich immer ungeschickter. Wenn wir uns heute hier und da begegnen, sind wir aber stets herzlich zueinander.

Erinnerst du dich an die Achtziger?

Ich hatte das Glück, nach London zu kommen, als es die politischen, kulturellen und sozialen Verhältnisse zuließen, dass man mit Arbeitslosenunterstützung über die Runden kommen und sein Leben für sich neu erfinden konnte. Das war das Licht im Dunkel des Thatcherismus. Aber dann kam HIV, und es wurde umso finsterer.

Wie wird man vom Popstar zum Pfarrer?

Als Kind sang ich im Kirchenchor. Mir gefielen die Musik, die Kultur, die Worte – auch wenn ich von der Doktrin wenig verstand. Das anglikanische Weltbild war mir immer nahe, sogar in einer Zeit, als ich die institutionelle Kirche ablehnte. Heute schätze ich ihren leisen Humor. Unsere Kirche ist tief im englischen Leben verwurzelt. Sie setzt sich still, aber rigoros für die Leidenden ein.

Gab es ein Erweckungserlebnis?

Ich war für eine Fernsehstation in Edinburgh tätig. An einem Sonntagnachmittag spazierte ich durch die Stadt und kam an der Kathedrale vorbei. Ich war allein und konnte unbeobachtet hineinschlüpfen. Gerade begann die Abendandacht. Der Chor sang ein Lied, das mich an meine Kindheit erinnerte. Ich spürte, wie in mir etwas zerbrach, und verließ die Kirche fluchtartig. Auf dem Heimweg nach London sprang ich in York spontan aus dem Zug und buchte ein Hotelzimmer. Es gab großartigen Kirschstrudel in York, und dann besuchte ich im Münster die Abendandacht, kaufte mir ein silbernes Kreuz und hängte es mir um den Hals. Plötzlich stimmte alles, ich war überwältigt.

Darf man die Euphorie von Musikfans mit religiöser Ekstase vergleichen, wie es gern getan wird?

Die Erfahrung eines lebendigen Gottes ist dem Glück, das wir durch Musik empfinden, sehr ähnlich. Pop hat ja auch etwas Priesterliches. Mir hat Popmusik immer gefallen, wenn sie etwas vermitteln will, eine Idee, eine Haltung. Denken wir an den Soul der Fünfziger- und Sechzigerjahre, an Motown! Aber auch an die Smiths! Musik sollte Hoffnung vermitteln, politisch und spirituell.