Rockin‘ Down The Highway


Rockmusiker und die Teens und Twens, für die sie Musik machen, haben ihre Lieblingsthemen, und das Auto gehört dazu. In diesem und im nächsten Heft blickt der ME den superschnellen Auto-Rockern unter die Motorhaube.

Seit Chuck Berrys berühmten Songs über extravagant ausgestattete Autos („No Money Down“) und rasante Luxus-Schlitten hat kaum jemand die Faszination von Geschwindigkeit und Sex so klar und bündig auf einen gemeinsamen Nenner gebracht wie Elton John und Bernie Taupin mit „Let Me Be Your Car“. Die Nummer paßte perfekt im Stil zu Rod Stewarts Image, und so wie Rod diesen Song auf seinem „Smiler“-Album interpretiert, liegt die Vermutung nahe, daß der Junge, der da seine Freundin „fährt“, sie nicht nur spazierenfährt, sich auch nicht nur auf Händchenhalten und verträumte Blicke beschränken möchte. Darin steckt auch eine gehörige Portion von Potenzvorstellungen, männlicher Eitelkeit und wenn man so will sogar Chauvinismus. Eigentlich knüpfte Rod Stewart da an die Blues-Tradition an, denn das Thema ist mindestens so alt wie Memphis Minnies „Me And My Chauffeur Blues“, eine uralte Geschichte von Sex, Eifersucht, Hörigkeit und schnellen Autos. Wie überhaupt die Blues-Sänger der zwanziger und dreißiger Jahre sich mit Versen wie „Baby let me check your oil!“ nicht als erfahrene Automechaniker ausgeben wollten, sondern etwas ganz anderes meinten.

In seinem Song „True Blue“ hatte Rod Stewart noch behauptet: „Never met A millionaire / And I teil you momma I don’t care/Never gonna own a race horse/Or a fast-back midengine Porsche!“. Aber das glaubte dem Speed-Fanatiker nach „Italien Girls“ sowieso niemand mehr. In Erinnerung an seine Jahre als Folksinger, in denen er durch Europa getrampt war, hatte er da einen Song komponiert, der ehrlicher seine Begeisterung für schnelle Wagen ausdrückt. Am Cola-Automaten trifft er irgendwo in Italien ein Mädchen, mit dem er als Besitzer eines fast schrottreifen Armee-Jeeps wirklich nicht konkurrieren kann:

„Well, she claimed she was a killer/And she owned a floodlit villa/ A little away from the main highway / She was fall, thin and tarty/And she drove a Maserati faster than sound/I was heaven-bound“. Der spätere Lamborghini-Fan im siebten Auto-Himmel…

Fortbewegungsmittel aller Art als die Möglichkeit, sich frei und ungebunden zu fühlen, haben in der populären Musik Amerikas schon immer eine wichtige Rolle gespielt. In der Country Music und im Blues der dreißiger und vierziger Jahre waren es die Züge, auf die man als „blinder Passagier“ aufsprang, um gen Westen nach Kalifornien oder von dort wieder nach Hause zu fahren, nachdem man des abenteuerlichen Lebens unterwegs überdrüssig geworden war. Die berühmtesten dieser Country-Songs schrieb Jimmy Rodgers, Lieder wie „California Blues“, „Train Whistle Blues“, „Waitin‘ For A Train“ und „Hobo’s Meditation“. Die Bösewichte in diesen Songs waren allemal die Bremser, die ständig Landstreicher aus ihrem warmen Plätzchen in den Überland-Güterzügen vertrieben.

Später trat an die Stelle dieser Songs die ganze Truckdriver-Mythologie der Country Music: Lieder über LKW-Fahrer, die ihre Frauen nur selten sehen, weil sie dauernd unterwegs sind, um Güter zu transportieren. Der harte Job und Aufputschmittel fürs Wachbleiben, Bier und gelegentliche amouröse Abenteuer mit Anhalterinnen sind immer noch Standardthemen der Truckdriver-Musik. Die Rock’n’Roller der fünfziger Jahre, die aus dem Country Music-Milieu kamen, sangen vorzugsweise über Überlandbusse (Greyhounds) und Flugzeuge, aber auch über geräumige Autos und Kleinbusse, mit denen sie hunderte von Meilen zwischen den Konzertauftritten zurücklegen mußten. Lieblingsthema der Surf Music zu Beginn der sechziger Jahre schließlich waren schnelle Motorräder und jene Bretter, die die Welt bedeuten, weil man sich auf ihnen frei fühlen konnte. Und die offenen Coupes, mit denen man die Straßen der Heimatstadt unsicher machte.

Zwei in dieser Hinsicht typische Songs schrieb damals Beach Boys-Chef Brian Wilson, nämlich „Little Deuce Coupe“ und „Cherry Cherry Coupe“. Gegenüber seiner Teenager-Braut (die übrigens diese entsetzliche Perücke trägt, die wegfliegt, wenn er mal richtig aufs Gaspedal drückt) prahlt er:

Mit hundertvierzig Meilen pro Stunde durch ein Land fahren zu können, dessen Straßen mit Schildern für Geschwindigkeitsbegrenzung nur so gepflaster ist, war immer ein Traum des Surf-Rock. Während man damals in Hollywoodfilmen immer die großen,gemächlich dahinfahrenden Fords, Chevrolets und Cadillacs sah und James Dean schon deswegen ein Außenseiter sein konnte, weil er mit seinem Porsche private Geschwindigkeitsrekorde aufzustellen versuchte, schwärmte man in Popsongs jener Jahre von den kleinen, aber flotten Sportflitzern, die man im Zweifelsfall so frisiert hatte, daß man vielleicht sogar den Polizisten in ihren Autos oder auch Motorrädern (die einem ein Strafmandat wegen Übertreten der Geschwindigkeitsvorschriften verpassen wollten), entfliehen konnte. Das schnelle Auto war ein soziales Statussymbol – so wie für Marion Brando in „Der Wilde“ sein schweres Motorrad! In der Pop-Phantasie hatte der Besitzer eines flotten Flitzers auch immer die flottesten Mädchen für sich. So wie Brian Wilson in seinem „Cherry Cherry Coupe“:

The wildest short around is my Cherry Cherry Coupe The sharpest in town an the envy ofmy group It’s one of its kind and it really looks good Chopped nose and decked Das waren Phantasiewagen wie die, über die Tom Wolfe in seinen Reportagen über „Das bonbonfarbene tangerinrot-gespritzte Stromlinienbaby“

schreibt: wahre Kunstwerke, die man sich – schließlich ist Amerika ein freies Land, nicht wahr? — nach eigenen Vorstellungen frisierte und so farbenprächtiggrell wie möglich bemalte; aus dem notwendigen, aber trostlos uniformen und konformen Fortbewegungsmittel für den im Vorort wohnenden Mittelstand ein Symbol für Individualität machte, in dem der Vater niemals in sein Büro hätte fahren dürfen.

Vorbild für die Beach Boys-Hymnen waren Chuck Berrys klassische Rock n‘ Roll-Songs, Kompositionen wie „Jaguar and the Thunderbird“, „No Money Down“ und sein erster Hit „Mabellene“, der in seinem atemlosen Rhythmus schon die Faszination durch Geschwindigkeit ausdrückte. Die Geschichte ist ziemlich belanglos, es geht vielleicht darum, ein Wettrennen zu gewinnen und damit das Rendeuvous mit einem Mädchen, das einige hundert Meilen weiter wartet. Spannend ist die Art, in der der alte V-8 Ford den ihm eigentlich überlegenen Cadillac übertumpft, der bei dem plötzlich einsetzenden Regen nicht mehr mitmacht, sondern „wie eine Tonne Blei“ am Straßenrand liegenbleibt.

In „No Money Down“ dagegen ist es ein alter und so gut wie schrottreifer Ford, den Chuck Berry gegen seinen neuen Wagen eintauschen möchte. Der geschäftstüchtige Händler verspricht ihm, er werde ihm einen Cadillac verkaufen, der seine kühnsten Vorstellungen übertrifft. Aber er ahnt nicht, welche Vorstellungen sich Chuck von einem solchen Wagen macht: Sein Traumauto ist ein Luxus-Schlitten, den er – koste es was es wolle — mit Flugbenzin fahren will und der von automatischer Heizung bis zum Fernseher alles haben muß. Inklusive zehn Dollar Preisnachlaß, auszuzahlen in Zwanzig-Dollar-Noten, und einer 30 000 Dollar-Haftpflichtversicherung!

Solche Wagen wurden auch in Amerika nur selten gebaut…