Ry Cooder – Liebling der Kritiker


Als Ry Cooder hauptsächlich wegen seiner Kollektion an Hawaii-Hemden (der eindeutig größten im Rockbusiness) zu schätzen, wäre wohl der reine Snobismus. Weit darüber stehen seine wunderbaren Plattenhüllen, seine immer (und neuerdings erst recht) exquisite Aufnahmecfualität, seine brillante Songauswahl und – jetzt wird’s wirklich wichtig – seine charmant schlechte Stimme, seine stets hochkompetenten Mitspieler, sein formidables Gitarrenspiel und sein Gefühl dafür, alte US-Songs in ein zeitgemäßes Kleid zu stecken, ohne irgendwem (weder sich, noch dem Song, noch dem Komponisten) dabei Gewalt anzutun. Doch wer ist, fragen die meisten ME-Leser jetzt, denn dieser ominöse Kerl, der von allen Kritikern allzeit fünf bis sechs Sterne erhält (siehe ME 10/79, 9/80, 11 /80) und den man höchstens aus dem Radio mit „Little Sister“ kennt? Wieder so ein critic’sfavourite, ein Liebling der Kritiker, der sich schwierig anhört und mit dem sich die Musikjournalisten mal wieder vom üblichen Publikumsgeschmack absetzen wollen, um zu zeigen, daß sie mehr…, eeh…?

Cooder’s feine Gitarrenarbeit hat ihm überhaupt erst den Weg ins Geschäft geebnet. Der heute 33jahrige stieg 1965 in eine kurzfristige Band von Taj Mahal, The Rising Sons, ein und wechselte danach zu Captain Beefheart (LP: SAFE AS MILK). Doch erst in den folgenden Jahren erlangte Cooder als Studiomusiker Ruhm – jedenfalls innerhalb der Szene.

Frage: „Du hast in tausenderlei Aufnahmen mitgewirkt!?“ Cooder: „Nicht ganz, aber hunderte waren’s bestimmt…“. Zu diesen hunderten von Produktionen zählen ebenso solche, die nie veröffentlicht wurden, wie andere, die Hits ergaben: Für Paul Revere & The Raiders, einer US-Band mit äußerst erfolgreichen Lärm-Singles, zupfte Cooder genauso wie für Gordon Lightfoot, Maria Mauldur, Randy Newman, John Sebastian, Arlo Guthrie, Everly Brothers, die Produzenten Terry Melcher und Jack Nietzsche und und und. Bekanntestes Beispiel sind die Rolling Stones, die Cooder auf LET IT BLEED und STICKY FINGERS begleitete, wobei die Stones angeblich mehrere Ideen Cooder’s als ihre eigenen ausgegeben haben sollen. Im Interview mochte sich Ry dazu nicht näher äußern. Nach der Stones-Zeit schloß Cooder sich einer Allianz von Musikern und Produzenten der Firma Warner Brothers an, wozu auch Ted Templeman, Randy Newman, Van Dyke Parks und Russ Titelman gehörten. Mit Parks verbinden Cooder die gemeinsamen Interessen an alter amerikanischer Musik: Parks legte mit Alben wie DISCOVER AMERICA, SONG CYCLE oder CLANG OF THE YANKEE REAPER zwar bombastischere, aber ähnlich inspirierte Rückblicke wie Cooder an. Und überhaupt: Die Ur-Formation von Little Feat bestand seinerzeit aus Lowell George, Russ Titelman und Ry Cooder…

Zurückblickend ist Cooder offen genug, nicht alle sei£m ner (Mit-) Arbeiten zu loben. Von den bekannteren zählen der Soundtrack PERFOR-MANCE und IAMMING WTIH EDWARDS (mit Nicky Hopkins sowie den Stones ohne Keith Richard) zu jenen Platten, die man wahrlich nicht besitzen muß. Was hat es Cooder finanziell eingebracht, den sessionman abzugeben? Musiker wie Jeff Porcaro sind daran steinreich geworden. „Es geht so, man kann ganz gut leben und Frau und Kinder ernähren. Was bedeutet reich? Das ist relativ. Es gibt Leute, die mit Studioarbeit mehr verdient haben als ich, es gibt aber auch andere…“. Außerdem hängt die Finanzlage, wie Cooder darstellt, stark von den Investitionen ab, die man in neue Projekte steckt, und natürlich davon, wie sehr diese Investitionen Kapital ergeben. 1977 jedenfalls berichtete Cooder, er sei ehrlich pleite, das ist verdammt wahr.“ Heute dürfte es ihm nicht zuletzt wegen einiger Erfolge mit BOP TILL YOU DROP besser gehen. Was Cooder zeitweise in die finanzielle Pleite brachte, sind vornehmlich seine recht kostspieligen Projekte mit diversen Bands und selbstredend die Tatsache, daß man von sensibel produzierten Alben halt keine Millionen Exemplare verkauft. 1970 erschien RY COODER, das Solo-Debüt, das gleich klarmachte, woher Cooder seine Inspirationen bezieht: Aus eigentlich allen Formen amerikanischer Musik, vom Blues über Folk bis zu hawaiianischer und mexikanischer Stilistik. Beim Folk stehen Komponisten wie Woody Guthrie und Huddie Ledbetter („Leadbelly“) obenan, wobei letzterer zugleich auch in die Bluessparte neben Sleepy John Estes (der berühmte „Milk Cow Blues“ stammt von ihm), Blind Willie Johnson und Arthur Blake gehört. Allein Cooder’s Interpretation von Estes‘ „Going To Brownsvüle“ ist ein halbes Album wert.

INTO THE PURPLE VALLEY, der Zweitling mit einem der schönsten Cover, das die Rockmusik kennt, zeigte, daß Cooder seine Songs keineswegs nur aus der amerikanischen Depressionszeit Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre hervorholte. „Money Honey“ war 1953 ein Hit für die Drifters; „Hey Porter“ 1955 Johnny Cash’s Debütsingle; und mit „F.D.R. In Trinidad“, das es auch von Van Dyke Parks gibt, wies Cooder auf in den USA gern vergessene Musikkulturen „vor der Haustür“ hin. Woher kennt Cooder all diese Songs? „Wenn mich was interessiert, gehe ich zu bestimmten Freunden und krame in deren Plattensammlungen. Für bestimmte Musikformen habe ich bestimmte Sammler. Und wenn ich dann die entsprechenden alten Songs veröffentlicht habe, wundert mich immer wieder, daß die Leute glauben, dieser oder jener Song sei neu, sei gerade geschrieben worden.“

Neuerdings, so behauptet jedenfalls seine Plattenfirma, ist Ry Cooder kommerzieller geworden. Einmal, weil sein völlig aus der Reihe fallendes Album JAZZ (mit Jazz der dreißiger und vierziger Jahre) überraschend bekannt wurde, andererseits durch BOP TILL YOU DROP und das brandneue BORDERLINE. Cooder mag dazu selbst wenig sagen: jetzt spiele er halt so, und Geld würde ja nicht schaden und überhaupt…

Richtig ist, daß die beiden letzten Alben rockiger klingen und den Einstieg für Neulinge erleichtern. Und daß Cooder auf BOP… als erster Rockmusiker die digitale Aufnahmetechnik anwandte, die größere Räumlichkeit und ein transparentes Klangbild erzeugt, auch wenn die Digitaltechnik erst bei ebenfalls digitalem Abspielen ihre wahren Qualitäten ergeben wird.

Wie sehr Cooder auf sauberen Sound achtet, zeigte sein Konzert in Düsseldorf: Mäßige Lautstärke und absolut deutlicher Klang, der die angebliche schlechte Akustik der Philipshalle ins Reich der Märchen verbannt. Mit den Background-Sängern Bobby King und WiHie Green, John Hiatt (g), Jessy harms (keys), Darrel Verdusco (dr) und James Rolleston (bg) legte Cooder herrliche Versionen von „Alimony“, „Money Honey“, „Down In Hollywood“, „Little Sister“, „Married Man’s A Fool“ oder etwa ganz neue Stücke ie „634-5789“ von Steve Cropper/Eddie Floyd, „The Girls From Texas“ und „Crazy ,Bout An Automobile“ vor. Hört Euch auf BORDERLINE die Geschichte von „Automobile“ an und Ihr wißt bescheid…

Wie sieht’s nach der Tournee aus? Zunächst WW schreibt und spielt Cooder den Soundtrack zum kommenden Wim Wenders-Film „Hammet“. „Yeah, ich mag Wenders, besonders den ‚Amerikanischen Freund‘ – und er mag meine Musik.“ Nebenbei bemerkt: THE LONG RIDERS, Cooder’s jüngster Soundtrack (vergl. ME 9/80), lohnt für Puristen allemal.

Am Ende des Interviews fiel Ry eine Zeile aus einem Artikel in einer älteren Ausgabe von „Sounds“ auf, die besagte, Cooder habe einst mit seiner Hawaii-Band zur Probe den Rhythm’n’Blues-Klassiker „Fannie Mae“ eingespielt. Eigentlich doch eine Nebensächlichkeit – sollte man meinen, oder? Nichts da: Ry Cooder sprang wütend auf, fluchte „wofür gibt man eigentlich Interviews?“ und machte sich verstimmt davon. Aufgebracht wahrscheinlich auch, weil er sich doch noch zu dem Gespräch hatte breitschlagen lassen, denn in den Augen des Meisters sind derartige Audienzen – zumindest auf hiesigem Boden – Zeitverschwendung.