Saga


Tut mir leid, daß es nicht früher mit dem Telefonieren klappte“, entschuldigt Saga-Bassist Jim Crichton die mehrmaligen Versuche, ihn zwischen einem Londoner Hotel und den Farmyard-Studios, wo gerade das neue Album entstand, an den Fernmund zu kriegen. „Wir haben letzte Nacht vom Nachmittag um fünf bis heute früh um sieben am neuen Video für die Single , The Flyer‘ gedreht, das jeweils zur Hälfte aus Bühnen- und Nacht-Aufnahmen besteht. „

Er sagt das mit ausgeruhter Stimme, als käme er gerade vom Bahamas-Urlaub (doch den, den ersten seit zwei Jahren, traten Crichton & Co. erst Ende August nach den Aufnahmen zum neuen HEAD OR TA-LES-Album an).

Crichtons Topverfassung verwundert kaum, wenn man sich an den Gedanken gewöhnt hat, daß Saga praktisch seit diversen Monaten konstant auf Tour ist und dazwischen nur Zeit für die neuen Titel und die Aufnahmen gefunden hat. Die kanadischen Roadrunner in Sachen Rockmusik scheinen internationalen Erfolg zu verarbeiten wie andere Rotwein mit Ei und Traubenzucker. Und das Endurotraining, das sie in der ersten Karrierezeit mit heimatlichen Mammut-Distanzen zwischen den kanadischen Großstädten absolviert hatten, scheint sie für Tournee-Marathons jeder Art stabilisiert zu haben.

Bekanntlich war es das große Interesse des deutschen Publikums, das Saga zum internationalen Topact werden ließ, und so ist es für die fünf Burschen aus dem Ahornland auch völlig klar, daß sie hierzulande erstmals die neue Show präsentieren werden.

„Sorry, aber vorher wird nichts verraten“, meint Jim Crichton lächelnd. Wirklich nichts?

„Naja, so viel, daß wir es wichtig finden, daß dem Publikum etwas Frisches, Lebendiges geboten wird. Zum Beispiel eine neue Lightshow. Uns geht es zuerst darum, daß die Bühne anders als früher aussieht und sich von zig Bühnen unterscheidet, auf denen irgendeine Band eine Menge Instrumente aufgebaut hat; wo an der Decke ein Quadratgestell mit vielen Lampen hängt – na, man kennt das inzwischen zur Genüge.“

Was aber nicht bedeutet, daß Saga plötzlich aus dem Himmel schwebt – wie es vor einiger Zeit der Drummer von Earth, Wind & Fire in einer wahrlich spektakulären Show tat?

„Oh nein“, stellt Crichton klar, „wir sind immer noch die gleichen geblieben und werden nicht plötzlich die Liga der Kostümbands erweitern.“

Wenn andere Gruppen mangels musikalischer Masse sich als Vorreiter neuer Frisurenmoden oder als Ausschlächter des Garderobenfundus eines Theaters präsentieren, dann halten sich die fünf Kanadier lieber an musikalische Variationen. Leadsänger Michael Sadler, Bassist Jim Crichton und selbst Drummer Steve Negus wechseln zuweilen an die Keyboards und bieten gemeinsam mit Sagas „Chef-Keyboarder“ Jim Gilmour Klangteppiche von orchestraler Breite, die zum akustischen Erkennungszeichen der Band wurden.

Während der gerade gelaufenen Deutschland-Konzerte hat Saga erstmals die Stücke des neuen Albums HEADS OR TA-LES live präsentiert. Und deshalb ist die Frage nach dem, was neu an der LP ist, auch die Frage nach dem neuen Bühnenprogramm.

„Ich glaube, daß sich jedes Album vom vorigen hauptsächlich durch die verwendeten Sounds unterscheidet“, meint Jim Crichton. „Vermutlich ändern die neuen Instrumente, die wir in diesem Jahr gekauft haben, die Klangstruktur unserer Musik, auch wenn es natürlich immer noch Saga bleibt. Jedes Jahr kaufen wir zwei oder drei neue Keyboards und fangen an, Songs in Bezug auf jene neuen

Sounds zu schreiben, die uns begeistern.“

Warum machen sie sich dann nicht gleich an die Großkaliber der Keyboarder- und Synthesizer-Zunft, die Computergeräte vom Schlage der Crumars und Fairlights?

Crichtons Antwort ist plausibel: „Um so ein Ding wie den Fairlight wirklich adäquat einsetzen zu können, braucht man viel Zeit, um den Umgang mit dem Gerät zu üben. Unglücklicherweise, zumindest aus dieser Sicht, haben wir nicht die Zeit, monatelang herumzusitzen und Sounds zu sammeln. Die letzte Tour dauerte immerhin rund eineinhalb Jahre …“

Was Wunder, daß die fünf von Saga diesmal hoffen, nicht wieder in eine Dauer-Tournee zu verfallen. Obwohl Steve Negus, Sagas exzellenter Drummer, schon während der letzten Deutschlandtour in einem Interview bekannte: „Wir sind eine reine Konzertband.“ Und obwohl der 83/84er Terminkalender von Saga schon jetzt wie der typisehe Roadrunner aussieht: Oktober und November in Europa, Dezember USA und Kanada, und im neuen Jahr Südamerika, Puerto Rico (wo sie ’81 Stars wie Santana deklassierten), Japan und Australien.

Und dann fügt Crichton in gespielter Theatralik hinzu:

„Unser Schicksal ist eben die Landstraße.“

Dabei gibt’s für Saga eigentlich nur ein größeres Problem: Bleibt genügend Zeit, um neue Stücke zu schreiben, arrangieren und proben zu können?

Die Gefahr eines Rubbel-die-Katz-Albums ist bei dem neuen HEADS OR TALES nicht gegeben, denn die Sagas fanden glücklicherweise genügend Zeit. „Zwischen der letzten Europatour und den drei amerikanischen waren ein paar Wochen Pause“, erinnert sich Jim Crichton. „So konnten wir für die HEADS OR TALES-Aufnahmen gut zwei Drittel des Materials aus der Schublade ziehen. Und nach den US-Terminen reichten dann sechs, sieben Wochen für die restlichen Songs.“

Hinzu kommt ja, daß die Sagas beim Anblick, besser beim „Anklang“ eines neuen Keyboards kreativ werden. Und generell scheinen Crichton & Co. eher Songs als Groupies im Kopf zu haben.

„Ob du’s glaubst oder nicht“, meint er lachend, „wir tüfteln bereits an den Songs fürs nächste Album.“ Und dabei war HEADS OR TALES, das 83er Saga-Album, gerade erst im Preßwerk…

Erneut wählten sich die Saga-Musikanten Rupert Hines zum Produzenten. „Zum einen, weil wir mit ihm und WORLDS APART wirklich erfolgreich waren, und man ja ein erfolgreiches Team nicht ändern soll. Zum anderen, weil die Arbeit mit Rupert wirklich Spaß macht.“

Auch wenn Jim Crichton, wieder ganz in englisches Understatement gehüllt, meint, Jim Gilmour, der Klassik studiert hat, wäre der einzige in der Band, der wirklich wüßte, worum’s bei Musik geht, hat Sagas Cheftexter doch sehr genaue Vorstellungen von der Musik:

„Zugegeben, man kann uns schon vorwerfen, daß wir zuweilen pompös spielen, doch dann tun wir’s bewußt als stilistischen Effekt. Unser Spektrum reicht von Duos einer Stimme plus Klarinette oder Saxophon bis zum vollen Sound von vier Knaben an den Keyboards.

Ich mag das volle Soundspektrum, und warum nicht mal ganz schmal und ein anderes Mal prallvoll klingen ? Wenn wir eine bestimmte Stimmung erzeugen wollen, wollen wir nicht durch Instrumente oder sonst irgendwas begrenzt sein.“

Zwei Dinge sind neu im Zusammenhang mit dem aktuellen HEADS OR TALES-Album, abgesehen von neuen Keyboards: Zum einen überließen die Sagas die Wahl der aktuellen Single diesmal nicht den Medien („sonst warteten wir immer ab, bis sich ein Favorit bei den Radioleuten abzeichnete“), sondern waren sich in Sachen Hitpotential bei „The Flyer“ – so heißt die ausgekoppelte 45er sicher.

Zum anderen gibt’s auf HEADS OR TALES keine Fortsetzung der durcheinandergewürfeiten Kapitel der Textstory, die die ersten vier Studioalben von Saga zum internationalen Puzzle-Spiel machen. „Die Story ist mit WORLDS APART zu Ende“, meint Jim Crichton, „auch wenn es uns als Tolkien-Fans gereizt hätte, eine unendliche Geschichte zu stricken.“