Schlafzimmer-Glaubwürdigkeit


Mike Skinner schreibt sich die Überschrift gleich in den Block. Er kann halt nicht anders: Ideen sammeln und Beats basteln doch vielleicht nur noch zwei Streets-Platten lang?!

Heute klingt doch alles gleich, sagen die Leute. Und dann ziehst du doch wieder los und kaufst das Zeug. Es gibt also keine Entschuldigung, mein Freund. Also lass uns die Dinge vorantreiben! Genau diese Worte brauchte es, um den britischen HipHop, ach was, die britische Musikszene überhaupt, nee, den HipHop als solchen komplett auf den Kopfzu stellen: „They say that everything sounds the same/then you go buy them/there ’s no excuses my friend“ rappte, nein, sang Mike Skinner 2002 in seinem GB -Hit „Let’s Push Things Forward“. Naja, vielleicht brauchte es noch ein bißchen mehr. Dieses jäh und neckisch ins Falsett gehobene „them“ – und den blassen, schmalen, schlechterdings hundsgewöhnlichen Burschen aus einer grauen Vorstadt der noch graueren britischen Industriestadt Birmingham,derdiesenicht eben bequeme Wahrheit zum Vortrag brachte.

Das einzig Auffällige an Mike skinner, wie er nun, zwei Jahre nach seinem Debüt original pirate Material, verloren in einer bürgerlichen Berliner Kellerkneipe hockt, die Baseballmütze auf dem Kopf und das viel zu weite T-Shirt über die Oberschenkel schlabbernd, das einzig Auffällige an diesem schüchternen 24-Jährigen ist seine absolute Unauffälligkeit. Mit seinem weißen, weichen Gesicht ohne Bartstoppeln, den wachen braunen Augen und den langen Wimpern würde er in keiner U-Bahn auffallen als der Junge, der das Business attackiert und damit erobert hat. Nicht in London. Nicht in Berlin. In Los Angeles sowieso nicht.

„In New York bin ich einmal 50 Cent begegnet“, antwortet er zögernd auf die Frage, ob er denn Kontakt zu US-Rappern hätte, diesen schillernden Alpha-Tieren des Genres in ihren gepanzerten Geländewagen und vergoldeten Palästen, „aber ich habe ihn nur von Weitem gesehen. Kennen gelernt habe ich ihn nicht“. Dann lächelt er sein schmales, leicht spöttisches Lächeln, als habe man einen jungen Londoner Shakespeare-Theaterschauspieler gefragt, was er denn von Ben Affleck hält. „Uns trennen Welten “ sagt er, „uns trennt nicht nur die Sprache. Wenn ich in Amerika spiele, dann finden das die Leute … kurios. Aber ich sende auf einer anderen Frequenz“

Auf einer Frequenz, deren Worte in den Wohnblocks der Vorstädte verstanden und zu deren 2Step -, Reggae- oder Garage-Beats in den angesagtesten Clubs Europas getanzt werden konnte. Da rappte ein ganz normaler Junge über den ganz normalen Alltag, nicht über Schießereien mit der Drogenfahndung oder den ausladenden Arsch der Freundin. Und weil dieser ganz normale Alltag manchmal auch ziemlich langweilig sein kann, rappte er eben darüber, wie bescheuert es sich anfühlt, die letzten Grasreste aus den Kippen im Aschenbecher zu krabbeln. Oder über seine Playstation. Eben erst hat er sich mit dem Journalisten eines Computer-Game-Magazins unterhalten.“Splinter Cell“ meint er fachmännisch, „ein ganzgroßes Schleicherspiel, vielleicht das beste seiner Art“.

In Birmingham, daheim bei Mama, war er quasi mit der Playstation verlobt. Dann hörte er irgendwann Run DMC und kam vom HipHop nicht mehr runter. Später, in London, musste er für seinen Lebensunterhalt arbeiten: „Bei Marks & Spencer, einer Kaufhauskette. Aber ich war im Büro, nicht im Verkauf. Nein, mit dreckigen kleinen Geschichten aus einem dreckigen kleinen Leben kann er nicht dienen – wie etwa Eminem, als dessen britischer Wiedergänger Skinner fälschlicherweise gerne gefeiert wird: „Der Vergleich stimmt nur, solange es den Erfolg betrifft“ sagt er trocken und lacht dann doch, „nein, im Ernst, ich wollte niemals meine Freundin töten, und ich mag meine Eltern. Sie hatten außerdem immer einen Job. Sorry, keine Leichen im Keller. Es ist nur so, dass Birmingham eine fürchterlich langweilige Stadt ist“.

Der Frust darüber wenigstens ist authentisch genug, dass sich die Menschen damit identifizieren können: „Ich kann mich ja schlecht mit Sachen auseinander setzen, die ich nicht erlebt habe“, sagt er über die Worte, die er findet. Und über die Beats, die die halbe Welt zum Arschwackeln brachten, kann er auch nur mit den Schultern zucken: „Ich bastle ewig daran herum. Dafür brauche ich die meiste Zeit, da steckt die allergrößte Sorgfalt drin. Wenn die Beats nicht stimmen, stimmt auch die Musik nicht. Und wenn die Musik nicht stimmt, dann kann ichgleich Kurzgeschichten schreiben. Was mich, ehrlich gesagt, nicht interessiert.“

Dieses nerdige Gebastel am Beat, so will es die Legende, fand bei ORIGINAL PIRATE MATERIAL im Schlafzimmer statt. Auch so eine Sache, die Platte wie Künstler sofort sympathisch machte – und die bange Frage aufwarf, ob dieser spezielle Reiz, diese linkische Naivität nicht auf dem Weg zum Nachfolgealbum verloren gehen könnte. „Ach was“, sagt Skinner und winkt ab, „ich habe A grand don’t come for free wieder in meinem Schlafzimmer aufgenommen“. Dass es aber diesmal ein anderes, viel größeres Schlafzimmer ist, in dem er auch wesentlich hochwertigere Mikrophone verwendete, muss man ihm erst aus der Nase ziehen. Er hat eben, wie die US-Kollegen, etwas zuverteidigen. Dort mag man es „streetcredibility“ nennen, bei Mike Skinner ist es vielleicht eher „bedroom credibility“. Lustig findet er diese Formulierung und kritzelt die Worte gleich in den Block, der vor ihm auf dem Tisch liegt. „Ich schreibe immer jeden Scheiß auf, der mir so über den Weg läuft“, sagt er, „brauchst dir nichts drauf einbilden „. Die auf dem Album erzählte Rahmenhandlung über einen Geldschein, der verschwindet, woraufhin die Glotze kaputtgeht, woraufhin er bei einem Kumpel Fußball gucken muss, den das nervt, woraufhin die Freundin sagt, er solle doch den Arsch hochkriegen und das Ding reparieren lassen, wozu er aber ständig zu bekifft ist, diese Geschichte dient nur als Vehikel für die vielen kleinen, unaufdringlichen Beobachtungen, mit denen seine Songs gespickt sind. Es ist, nun isses raus, ein Konzeptalbum. „Obwohl ich das Wnn nicht mag“ meint er, „es klingt zu sehr nach …etwas, dass sehr übel stinkt. Nach Progrock oder so. Schreib das bloß nicht auf sonst riecht meine Platte auch danach! Ich fand nur die Idee schön, alles mit einer erfundenen Geschichte zu verbinden“ Skinner spricht von „Songs“,‘ nicht von „Tracks“. Er hat auch kaum Samples verwendet und gar keine Zeitauf Hörspiel-Interludes. Alle Instrumente sind echt; für die Single „Fit But You Know It“ griff er zur Fender Telecaster eines Kumpels – nicht das typischste aller HipHop-Werkzeuge.“Aber so ist das eben in England. Musik wird mit Gitarren gemacht.“

Und wenn original pirate Material dafür geliebt wurde, dass es soziale Realitäten ganz normaler Typen im Großbritannien des Tony Blair spiegelte wie kein Album zuvor, so handelt A GRAND don’t come for free nur vordergründig von den luxuriösen Schwierigkeiten, die der rasche Ruhm so mit sich bringt: „Das Geld kommt nicht von alleine- und wenn es weg ist, verschwinden die Frauen, verschwinden die Freunde. Aber das einzige Problem ist das Misstrauen, das einzige Problem“ sagt er und tippt gegen den Schirm seiner Baseballmütze, „ist in deinem Kopf“ Worin auch schon konkrete Zukunftspläne schlummern. Nur noch ein, zwei Platten will er machen. Und dann? Nur noch produzieren, britischen HipHop, „dass ist mein Traum. Ich will nicht immer Musik machen „.

Als er vor zwei Jahren deutschen Journalisten gegenüber saß, beeindruckte er damit, dass er den Schriftsteller Thomas Mann erwähnte, diesen „geezer“, dessen Werke auch größer gewesen seien als er selbst. Nun meint er, dass Seeed die besten deutschen Hip-Hopper seien, die sollten wir uns mal anhören. „Ansonsten …“, nuschelt er vor sich hin, „klingt doch sowieso alles gleich. Und darum kann’s doch wohl nicht gehen, oder?“ Nein, es geht darum, die Dinge voranzutreiben.