Selig


Zehn Minuten vor dem Auftritt liegen sich Malte und Jan hinter der Bühne mächtig in den Haaren. „Er hat mir mein T-Shirt zerrissen“, klagt Jan Plewka, und schickt einen beleidigten Blick zu seinem Keyboarder. Der schnappt darauf seine Siebensachen und geht. Nicht wirklich, natürlich. Selig sind, das beteuern die fünf Musiker immer wieder, dicke Freunde, die das Schicksal zusammengefügt hat. Dauerlauf im Musikfernsehen, Goldene Schallplatte, Preisregen, Mädchenkreisch und Presserummel. Sowas verbindet. Nach einer Minute kommt Malte mit einem breiten Grinsen wieder und umarmt seinen Sänger, ehe sich die Truppe in eine rüde verhackstückte Version ihrer Nummer ‚Die Besten‘ stürzt. Stoppel wummert am Schlagzeug, Leo prügelt den Baß, die Orgel quetscht, Christian Neanders Gitarre seufzt und jault, und Jan Plewka schlenkert die mageren Hüften unter seinem Marylin-Monroe-Leibchen. Ohne auch nur ansatzweise originell wirken zu wollen, setzt das Quintett live mit wuchtigen Rockhymnen wie ‚Sie hat geschrien‘ oder ‚Wenn ich wollte‘ Maßstäbe für deutschsprachigen Rock mit Spaßanspruch. Viel Deep Purple klingt da mit und etwas Led Zeppelin wohl auch. Nur, wer im Saal kennt Led Zeppelin? Das Publikum, das Selig an den Ladenkassen der Republik zur Rocksensation der letzten Saison kürte und nunmehr wie eine Stampede die Konzerthallen stürmt, ist im besten Oberschüleralter. Viva sei dank. Wie sonst höchstens bei Teenie-Gruppen ä la Take That stehen die Väter der Fans auch bei Selig wartend vor der Halle. Drinnen leuchten Feuerzeuge wie weiland bei Westernhagen. Bei Selig allerdings ohne viel Drumherum. Keine Videowände und Feuerwerkskörper, kein Laserblitz und Donnerhall. Für den Unterhaltungswert des zweistündigen Programmes sorgen die Musiker allein mit schweißtreibendem Körpereinsatz. Sie hüpfen und springen nimmermüd‘ umher, wieseln hin und hopsen im Duett zurück. Jan erzählt kleine Geschichten vom ‚Mädchen auf dem Dach‘. Malte mimt den Einpeitscher. Gitarrist Christian stellt die klassischen Posen seiner Zunft nach. Wahwah und jaul! Baßmann Leo spielt im Liegen. Plewka, immer auf Körperkontakt bedacht, versucht sich als Stagediver: Hundert bereitwillig ausgestreckte Hände fangen ihn auf und tragen ihn durch den Saal. Als er wieder auftaucht, ist sein Monroe-T-Shirt reif für die Altkleidersammlung.