Senf dazu?


Er war Talkshow-Anheizer, Stagehand und der Lieblingsliedermacher von Indie- Deutschland. Doch jetzt steht Olli Schulz plötzlich vor Millionen - und müsste deshalb eigentlich seinen Urin trinken.

Im Eingangsbereich der Brainpool-Studios in Köln-Mülheim herrscht großer Andrang. Rund 200 Leute warten vor einem Absperrseil darauf, dass sie jemand abholt, ins Studio, in dem in Kürze die zweite „TV Total“-Sendung am heutigen Tag aufgezeichnet wird. Die Menschen in der Schlange sehen genau so aus, wie man sich Studiogäste von „TV Total“ vorstellt: Studenten sind da, blondierte Sonnenbankgrilletten und Jungs in Picaldi-Jeans, junge Paare, aber auch Familien mit fast erwachsenen Kindern. Schwer vorzustellen, dass viele von ihnen Olli Schulz kennen.

„Als Kind habe ich Senfgehasst, ich habe mir geschworen, das niemals zu essen“, sagt Olli. Wir sitzen auf einem Sofa an einem Ende einer der verwirrend vielen und verwirrend langen Gänge der Brainpool-Studios. Auf einem riesigen Bildschirm ist das Aufnahmestudio zugeschaltet: Das Publikum muss dort gerade enthusiastischen Fernsehapplaus üben. „Und jetzt liebe ich Senf! Gut, ne?“

Olli Schulz ist hier, weil er bei Stefan Raabs Bundesvision Song Contest teilnimmt. Heute, vier Tage bevor diese letzte große Popmusik-Livesause im deutschen Fernsehen zum fünften Mal über die Bühne geht, stellt er „Mach den Bibo“ bei „TV Total“ vor. Mit der ersten Single von seinem neuen Album ES BRENNT SO SCHÖN tritt er für seine Heimatstadt Hamburg an. Dabei hatte sich Schulz geschworen, das niemals zu tun: zu Raab zu gehen. Also, warum jetzt doch? “ Weil ich einen Wahnsinns-Song am Start habe! Ich hatte schon immer mal Lust, einen Mitmachsong zu schreiben. Einen Ballermannsong. Warum sollen die Leute auf Mallorca immer nur DJ Ötzi und Jürgen Drews hören? Es wäre doch viel geiler, wenn die zu meinem Song abtanzen und den ‚Bibo‘ machen würden!“

Als Deichkind ihre Teilnahme für Hamburg beim „Song Contest“ kurzfristig absagten, warf Schulz alle Bedenken über Bord und sprang ein.

Als Oliver Marc Schulz zusammen mit Max-Martin Schröder noch unter dem Namen Olli Schulz und der Hund Marie 2003 sein Debüt veröffentlicht, hat er schon einen langen Weg durch die Niederungen

des Showgeschähs hinter sich. Der Hamburger zappelt sich als Anheizer für die Talkshow von Johannes B. Kerner bei Sat.l ab, erträgt die Langeweile hinterm Tresen eines Plattcnladens und in einem Callccnter, bevor er anfängt, als Stagehand für Rockmusiker Bühnen aufzubauen: „Das Geilste war, beim Soundcheck dabei sein zu dürfen. Allein mit dem Künstler in der leeren Halle. Lou Reed fand das allerdings nicht so geil. Das war in den Docks in Hamburg. Ich steh so vor der Bühne, da bricht er den Soundcheck ab, zeigt auf mich und fragt seinen Tonmann: ,What is this cunt doing here?!‘ Ich so: ‚I’m just watching.‘ Reed schreit: ,Out!‘ und schmeißt mir noch drei, vier Beleidigungen hinterher.“

In dieser Zeit entstehen seine ersten Songs. Marcus Wiebusch (Kettcar) hört sie und bietet ihm an, sie auf dem neuen Label Grand Hotel van Cleef zu veröffentlichen. Olli nimmt mit Max Schröder 2003 BRICHST DU MIR DAS HERZ. DANN BRECH‘ ICH DIR DIE BEINE auf. Mit den kleinen Indiepopsongs, die durchaus an Kettcar und Tomte erinnern, aber auch eine ausgeprägt humoristische Seite haben, erspielen sich die beiden schnell eine kleine Fangemeinde. Die Konzerte sind dank Ollis Entertainerqualitäten gleichermaßen Stand-up-Comedy wie Popkonzert.

Spätestens bei der Tour zum dritten, ernsteren Album WAR-TEN AUF DEN BUMF.RANG (2006) wird klar, dass viele Leute eher wegen der Gags kommen. Das hat ihn geärgert, gibt er zu, doch mittlerweile sei ihm das egal: „Wenn Leute kommen, weil ich witzig bin, dann sollen sie das tun. Aber ich glaube, ich bin auch ein ganz guter Song¿writer, und deswegen komme ich schon damit klar. “ Seit der Hund Marie als festes Mitglied bei Tomte spielt und für seine Freundin Heike Makatsch Filmmusik macht, ist der Sänger öfter allein unterwegs. ES BRENNT SO SCHÖN nahm er ganz ohne Max auf.

Waren Olli Schulz samt Hund Marie bislang im Indie-Kontext zu Hause, steht er samt „Bibo“ beim Bundesvision Song Contest plötzlich vor einem Millionenpublikum. Und nennt das, was er macht, obendrein „Deutschrock“: „Das ist für mich ein Experiment. Ich will sehen: Wie weit kann ich kommen? Und ich freue mich sehr, dass ich jetzt ein bisschen gehated werde. Ich war immer der liehe Indie-Liedermacher, den alle mögen. Jetzt regen sich endlich ein paar Leute auf. Wenn man größer werden will, muss man auch spalten, glaube ich.“

Ironischerweise war es Ollis Freund Walter Schreifels, der Sänger der US-Hardcore-Legenden Rival Schools, Gorilla Biscuits und Quicksand, der Olli dazu überredete, „Mach den Bibo“ doch mit auf das Album zu nehmen. Und nicht nur das: Die Rival-Schools-Origmalbesetzung nahm den Song in New York auf, Olli musste nur noch drübersingen. Sollte im Bierkönig auf Mallorca tatsächlich bald schon der Mitmachtanz zu „BAo“ geübt werden (bei „Bibo“ Flügelschläge imitieren, zu „UFO“ den Oberkörper kreisen lassen, bei „Grobi“ vornübergebeugt und mit gefletschten Zähnen wild nach der Luft schnappen), dann geschieht dies zur Musik von den „credibelsten Indie-Hardcore-Typen aller Zeiten“, sagt Olli und grinst. Ein schlechtes Gefühl hat er bei all dem nicht. „Ich habe nie geschworen, dass ich nur für einen elitären Indie-Kreis Musik machen will. Und was ist schon Deutschrock? Das ist doch nichts anderes als Indie-Deutschrock, den mehr Leute hören. Ich verstehe nicht, was daran falsch sein soll.“

Um uns herum wird es hektisch, gleich beginnt die Aufzeichnung. Die Frage, ob sich Olli Schulz in der Tradition seiner Kumpels von Die Ärzte sieht – Farin war Gast auf seinem zweiten Album, Bela spielt im „Bibo“-Video die zweite Hauptrolle -, wird nicht erschöpfend diskutiert. Nur so viel: “ Ich bewundere Die Ärzte dafür, dass sie sich nie zu ernst nehmen und trotzdem seit 20 Jahren erfolgreich sind.“

Bei seinem ersten Fernsehauftritt vor einer Million Zuschauern schlägt er sich gut: Er redet viel, selbst dann, wenn er gar nicht dran ist. Und Raab macht artig den „Bibo“. Beim Bundesvision Song Contest (über zwei Millionen Zuschauer schauen zu, fast alle Titel klettern kurze Zeit später in den Singlecharts nach oben wie die Meerkatzen) wird er Fünfter. Was hat der Olli davon? Und was der „Bibo“? Etwas pedantisch veranlagte Menschen, die auch unterhaltsame Großsprecher beim Wort zu nehmen pflegen, warten auf jeden Fall immer noch darauf, dass sich Herr Schulz endlich seiner ersten Eigenharnbehandlung unterzieht.