Sepultura auf kulturhistorischer Expedition fürs neue Album


Nur mit einem Lendenschurz bekleidet hockt Sepultura-Oberhaupt Max Cavalera auf einem Baumstamm im tiefsten brasilianischen Busch. Wortreich erklärt er einem neugierigen Eingeborenen, was die Tattoos auf seinem Arm bedeuten. So oder so ähnlich muß man sich die ungewöhnlichen Vorbereitungen zu ‚Roots‘, dem neuen Album der südamerikanischen Trash-Metal-Truppe, vorstellen.

Jahrelang haben wir direkte Kritik am System Brasiliens geübt – jetzt war es an der Zeit, uns und der restlichen Welt zu zeigen, daß es in unserem Land außer Mißständen und Terror auch noch Tradition und Kultur gibt“, so umreißt Sepultura-Gitarrist Andreas Kisser die Intention des neuen Albums. Auf der Suche nach den verschütteten Ursprüngen brasilianischer Kultur stießen Sepultura auf den abseits jeglicher Zivilisation lebenden Indiostamm der Xavante (sprich: Schawante). Nach vorsichtiger Annäherung verbrachte die Band samt Troß eine Woche bei den regime- und bürokratiefeindlichen Ureinwohnern, die sich nach anfänglicher Skepsis schnell für die langmähnigen Rocker erwärmten. „Das Eis brach, als sie nach unseren Tätowierungen fragten“, erzählt Max Cavalera. „Wir erklärten ihnen, daß wir uns auch als Outlaws sehen. Sie waren dann schnell überzeugt, daß wir keine Voyeure waren, sondern ein ehrliches Anliegen vertraten.“

Mit sechs hochklassigen Thrash-Metal-Alben haben sich Sepultura in den letzten elf Jahren in die erste Liga dieses Genres gespielt. Doch wer von dem mittlerweile in Phoenix, Arizona, residierenden Quartett nur noch recycelte Erfolgsstandards erwartet, wird mit neuen musikalischen Ansätzen und ungebremster politischer Leidenschaft überrascht. Auf ‚Roots‘ finden sich als Resultat der kulturhistorischen Band-Exkursion starke Einflüsse indianischer Folklore. Mit einem Achtspur-Gerät nahmen Sepultura an Ort und Stelle ihre Jam-Sessions mit den Indios auf, um sie später in kaum veränderter Form auf dem Album zu verarbeiten. Als erste Vertreter der Hardcore-Fraktion bringen die Brasilianer somit ethnische Elemente in ihre Musik und bestätigen damit einmal mehr ihren Sonderstatus. Songs wie ‚Endangered Species‘, ‚Ratamahatta‘ oder ‚Itsári‘ beschäftigen sich auch textlich mit der kulturellen Historie des Landes. Regimekritische Parolen kommen ebenfalls nicht zu kurz – ‚Dictatorshit‘, ‚Ambush‘ und ‚Cut Throat‘ sprechen da eine deutliche Sprache.

Doch nicht nur inhaltlich hat sich einiges getan: Sepultura verzichteten bei den Aufnahmen auf die Dienste des Starproduzenten Andy Wallace, um von der Unbefangenheit des Neulings Ross Robinson zu profitieren. „Wir wollten die ungeschliffene Härte unserer Musik ins Studio transportieren. Vieles haben wir deshalb live eingespielt. Und Ross hat uns dabei sehr geholfen, während Andy am Ende nur noch abgemischt hat“, berichtet Kisser, der sich erst kürzlich mit der Rolle Sepulturas im weltweiten Popularitäts-Wettkampf auseinandersetzen mußte. „Du lebst in deiner eigenen kleinen Welt vor dich hin, und bekommst eigentlich gar nicht mit, was draußen passiert. Natürlich weißt du über Verkaufszahlen Bescheid, aber wie groß das alles geworden ist, was für eine Verantwortung gegenüber Fans und Crew mittlerweile da dran hängt, das wird einem nicht so schnell bewußt.“

Die Anregung zur Nabelschau bekam der Brasilianer, als er in den Nachrichten Bilder des Krieges in Kroatien sah. Ein blutjunger Soldat kämpfte an vorderster Front, bekleidet mit einem Sepultura-T-Shirt. „Zuerst war ich geschockt, aber es ging nicht um eine Identifikation der Band mit dem Krieg, sondern darum, daß unsere Musik überall auf der Welt gehört wird. Der junge hatte wahrscheinlich einfach nichts anderes zum Anziehen, aber mir öffnete diese Szene die Augen über unseren Status.“