Sie hatten nichts im Kopf


"Der Geist muß leer sein, um klar zu sehen , sagte einst der indische Philosoph Jiddu Krishnamurti. Auch wenn Phoenix nicht als Vorzeige-Buddhisten gelten, scheinen sich die Franzosen diese Weisheit zu Herzen genommen zu haben. Das war auch zwingend notwendig.

Bands, die gleich zu Zeiten ihres Debüts durch die Decke gehen, sehen sich oft schon vor ihrer zweiten Platten mit einem schier unüberwindbaren Hürdenparcours konfrontiert. Wie viele vielversprechende junge Künstler sind schon am Druck durch den frühen Erfolg zerbrochen, haben sich deshalb oder einfach nur, weil man es sich jetzt eben gut leisten konnte und der nächste Dealer nie zu weit entfernt stand, den hübschen Kopf voll befindlichkeitsregulierender Substanzen geknallt und schließlich betreten mittelmäßige zweite Alben abgeliefert. Um sich hinterher zu fragen, wie sie sich am besten an den Haaren selbst aus diesem selbstgequirlten Sumpf ziehen können.

Ist doch auf jeden Fall besser, wenn eine Band etwas langsamer wächst, nicht? Thomas Mars, Sänger von Phoenix, die mit ihrem Zweitwerk Alphabetical 2004 den Schritt von den erklärten (bevorzugt in den 8oern popsozialisierten) Kritikerlieblingen zu Lieblingen sehr vieler Popverliebter machten, sieht da keinen großen Unterschied: „Ich finde, man darf sich generell nicht von irgendwelchen Erwartungshaltungen verrückt machen lassen, die von außen an einen herangetragen werden.“Gitarrist Christian Mazzalai ergänzt mit einem Alter-Hase-Lachen: „Der Druck, den man sich selbst macht, ist ja auch schon groß genug.“ Sowieso.

Der Druck, von dem die Band sich vor den Aufnahmen zum dritten Album, das bezeichnenderweise den Titel It’s Never Been Like That trägt, befreien mußte, war allerdings nicht Ergebnis von Trendhopping und Markeringstrategien, sondern speiste sich aus einem bandinternen Grundgefühl, das es dringend zu beseitigen galt, bevor es sich zu einer Lähmung aus wachsen konnte: „Uns war schlicht und ein fach schrecklich langweilig“, berichtet Thomas. „Mit und aus den vorhandenen Songs hatten wir musikalisch bereits alles gemacht, was uns einfiel. Live hatten sie für uns persönlich nicht mehr viel zu bieten. Und da wir die ganze Zeit auf Tour waren, hatten wir auch keine Zeit, neue zu schreiben. Wir hatten immer weniger Lust, unsere Stücke live zu spielen und mußten uns immer neue Dinge ausdenken, um uns bei Laune zu halten. Schließlich wollten wir dem Publikum keine abgeschmackte Standardshow bieten, bei der wir nur unseren Stiefel runterspielen.“

So entstand eine lustige und gleichsam seltsame Bühnenshow mit Posen und Geduldsspielchen: „An einer bestimmten Stelle des Sets hörten wir einfach für eine Weile auf zu spielen und verharrten bewegungslos, versteinerten regelrecht“, berichtet Thomas Mars: „Manchmal minutenlang. Es war eine Art Geduldsprobe sowohl für uns als auch für das Publikum.“ Christian kichert beim Erzählen: „Die Leute haben uns manchmal beschimpft: ‚Poser!‘, ‚Angeber!‘ Untereinander hatten wir keinen Augenkontakt und wir taten einfach nichts. Das war spannend. Manchmal, wenn der eine oder andere von uns wegen der langen Tour mit den Nerven am Ende war,fing der dann auf der Bühne unvermittelt an zu schreien. Man kann sich das gar nicht vorstellen, aber durch diesen einfachen Trick haben wir uns manchmal tatsächlich an die eigenen Grenzen geführt… Doch auch der wurde mit der Zeit langweilig.“

Die Ausführlichkeit, mit der die beiden sich am Ende einer langen und ziemlich anstrengenden Promo-Tour im Berliner Büro ihrer Plattenfirma in dieser Anekdote festbeißen, hat schon beinahe etwas Verzweifeltes. Sie wirken noch müder als ohnehin schon („Wir haben letzte Nacht nur zwei Stunden geschlafen“), wenn sie an die schwarzen, ausgebrannten Tage nach einer goldenen Zeit, an die Auslaufrille einer in Fetzen gehörten Lieblingsplatte zurückdenken.

Doch halt! Niemand ist gestorben, niemand steigt aus. Dies ist nicht das Ende einer Karriere, dies ist die Depression vor der nächsten Konjunktur, das Völlegefühl vorm nächsten Heißhunger. Phoenix haben die Konsequenz gezogen: Wenn das Lieblingsessen plötzlich fad schmeckt, muß man auf etwas anderes umsteigen. Ohne dabei die ganze Zeit an Schnitzel, Austern oder was auch immer man sich sonst so gern einverleibt hat, zu denken. „Wir wollten leer sein“, erklärt Thomas. „Uns in eine Situation zwingen, die einen Neuanfang markiert. Alle Eindrücke, die uns bremsten, für eine Weile vergessen. Zurück zum Anfang. Als hatten wir noch nie einen Song aufgenommen.“ Und das soll funktionieren? Christian präzisiert: „Wir wollten wieder fähig sein, Angst zu spüren, Aufgeregtheit, aus der echter Enthusiasmus entspringen kann.“

Hierfür fuhr die Band nach Berlin und bezog ein leergeräumtes altes Radiogebäude im Osten der Stadt. Ohne Möbel. Keine Ablenkung. Hier sollten neue Songs entstehen. Songs, die bewußt roh und grobkörnig sind, die auch keinen Feinschliff wie noch bei Alphabethical zulassen – weil jeder hören kann, daß sie keinen benötigen. „Viele Songs nahmen wir in nur einem Take auf, erzählt Thomas. „Dies ist kein Studioalbum. Das hier ist dafür gemacht, auf einer Bühne gespielt zu werden. Unsere neuen Songs müssen nicht erst auf die nächste Tour zugeschnitten werden, denn sie sind geradezu dafür gemacht. Wir wollen rocken.“

Die sich selbst verschriebene Leere haben Phoenix schnell gefüllt, It’s Never Been Like That ist konsequent, pointiert, geradeheraus und enthusiastisch ausgefallen. Und es klingt noch immer nach Phoenix. Nach wieder kräftiger gewordenem Softrock und Glampop und nach dieser ganz persönlichen Note, die die Franzosen aus der Summe ihrer Einflüsse herausdestilliert haben. Und danach, als müsse man sich das ganz schnell live angucken.

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