Simple Minds: Schlichte Größe


Für die einen sind sie die beste Band der Welt, für die anderen nur das, was ihr Name so nachhaltig suggerieren möchte - betont schlichte Klangklempner. Für die Simple Minds selbst sind Image-Fragen unerheblich.

Ein kleines Münchner Hotel von dezentem Luxus. Nein, die Simple Minds möchten auf keinen Fall den Eindruck erwecken, ihnen sei der Erfolg vergangener Jahre zu Kopf gestiegen. Auch was ihre zeitweilige Herberge betrifft, machen Jim Kerr und Charlie Burchill jener Simplizität, die ihr Band-Name so nachhaltig suggeriert, alle Ehre: Man mag es eben schlicht in Unterbringungsfragen ebenso wie in musikalischen Angelegenheiten. Die Songs von Kerr und Burchill, dem kreativen Kern der Simple Minds, sind unspektakulär, am Massengeschmack orientiert, dabei durchaus wohlkomponiert, ganz und gar professionell produziert und irgendwie stets korrekt. So korrekt wie ihre Macher eben. Die Begrüßung zum Beispiel fällt ausgesprochen freundlich aus. „Drink gefällig?“ Aber ja doch, gern.

Jim Kerr, so scheint’s, freut sich selbst nach 15 Jahren im Geschäft noch über das Interesse der Medien an seiner Musik. Keine Selbstverständlichkeit, denn „bisher sind die Kritiker nicht gerade gut mit uns umgesprungen.“ Nun gut, Jim. Schließlich kann euer Sound nicht jedem gefallen. Die Platten laufen ja trotzdem prima. So prima, daß zwischen der letzten regulären LP und dem neuen Album problemlos eine Pause von vier Jahren eingelegt werden konnte.

„Nach der großen Real Life Tour 1991“, erklärt Kerr rückblickend, „sind wir in ein Vakuum gefallen. Die 80er Jahre waren für uns gleichbedeutend mit Erfolg. Die Simple Minds waren nicht mehr nur eine Band, sondern eine ganze Industrie. Das gab uns zu denken.“ Und zwar so sehr, daß Kerr & Co. bei den Aufnahmen zu ‚Real Life‘ noch einmal damit begannen, „den eigenen Stil zu suchen“. Aus gutem Grund, wie Kerr noch heute glaubt: „Es ist zwar toll, erfolgreich zu sein. Aber mit dem Erfolg schleicht sich auch nach und nach die Unbeweglichkeit ein. Dann mußt du dich davon freimachen, mußt herausfinden, was du wirklich willst.“

Diesen Versuch unternahmen Kerr und Burchill auch nach dem Ende der ‚Real Life‘-Tournee und trennten sich erst mal von den übrigen Bandmitgliedern. Was allerdings zunächst wenig hilfreich war, denn Kerr fiel in ein tiefes kreatives Loch. So sehr er sich auch bemühte, neue Songs wollten ihm partout nicht mehr einfallen. Alles aus und vorbei also? Mitnichten! Denn eines Morgens, so Kerr, nach einer langen Pause, sei sie wieder dagewesen, die so schmerzlich vermißte Inspiration. Die Arbeit an einem neuen Simple Minds-Album konnte beginnen.

Inzwischen ist das Werk, das den verheißungsvoller Titel ‚Good News From The Next World‘ trägt, fertig – und damit auch bereit zum Sprung in die Charts. Beste Plazierungen sind, zumindest in Deutschland, so sicher wie das Nein des Papstes zum außerehelichen Geschlechtsverkehr. Denn auch die neue Platte der Simple Minds ist wieder herrlich hymnisch und dabei betont einfach ausgefallen. So erinnert ‚Good News‘ in manchen Momenten stark an das 85er Opus ‚Once Upon A Time‘. Charlie Burchill nickt, weist aber auf Veränderungen hin: „Der Unterschied zu unserer früheren Arbeit ist, daß wir fast völlig auf Keyboards verzichtet haben. Statt dessen haben wir bei diesem Album die Songs von der Gitarre her aufgebaut. Denn wenn die Keyboardflächen im Hintergrund wegfallen, hast du auf einmal eine Menge Platz.“ Eine Veränderung, die auch von Jim Kerr durchaus gewollt ist: „Unser Ansatz bei den Aufnahmen lautete ‚friß oder stirb‘. Wir sind bewußt aufs Ganze gegangen. Für irgendwelchen Bullshit gab’s da keinen Platz. Das ist auch der Grund, warum das Album so direkt ausgefallen ist.“ Erfreulich dabei: Auf derzeit heftig strapazierte Elemente aus Grunge, Punk und Metal haben die Simple Minds verzichtet. Auch was den Produzenten von ‚Good News‘ betrifft, gingen Kerr und Burchill keinen faulen Kompromiß ein. Ein Spitzenmann mußte her. Und da fiel die Wahl auf Keith Forsey, ein Studiocrack, der die Simple Minds schon bei den Aufnahmen zu ihrem Millionenseller ‚Don’t You‘ äußerst erfolgreich betreut hatte.

Wenn Forsey den Sound seiner Auftraggeber auch sonst modifiziert hat: bei Kerrs bisweilen exaltiertem Gesang ist es geblieben. „Für mich ist es wichtig“, erklärt Jim, „die Dramatik einer Nummer an einer ganz bestimmten Stelle auf den Punkt zu bringen. Ich glaube, wir machen sehr ausdrucksstarke Musik, die nach dieser Art der Interpretation verlangt.“ Eine Interpretation freilich, die nicht immer zur Textverständlichkeit beiträgt. Absicht? Jim Kerr winkt ab: „Für mich ist es gar nicht so wichtig, Wort für Wort verstanden zu werden. Klar, der Sinn des Ganzen ist zu kommunizieren, aber mehr auf der musikalisch-geistigen und emotionalen Ebene. Wenn ich zu einem frühen Zeitpunkt der Produktion Charlies Gitarre höre, ist da gar kein Text – aber Gefühl. Es ist dann an mir, die verborgene Botschaft der Musik mit Worten einzufangen.“

Mit diesen Worten, mit dieser Musik sind die Simple Minds reich geworden. Doch der Erfolg scheint ihnen fast schon unangenehm zu sein. Als müßten sie sich dafür entschuldigen, zu den erfolgreichsten Bands einer ganzen Dekade zu gehören, verweisen sie immer wieder darauf, wie normal, wie bescheiden sie doch eigentlich geblieben sind.

„Wir haben keine Bodyguards und keine Limousinen, keine Psychologen und keinen Koch“, erzählt Kerr, um dann doch zuzugeben, daß er den Erfolg natürlich genieße. Aber: „Was zählt ist, wenn ich zu Hause in Schottland bin und wir um Mitternacht an neuen Songs arbeiten. In diesen Augenblicken machst du nur für dich selbst Musik und hoffst, daß sie eines fernen Tages auch anderen gefällt.“

In ihrem Studio bei Glasgow finden die Simple Minds genau jene Atmosphäre, die sie für ihre Arbeit brauchen – kreative schottische Beschaulichkeit. Dennoch: Damit die Studioschaffe stets ein greifbares Ergebnis zeitigt, arbeiten Burchill und Kerr nach einem strikten Zeitplan. Die Idee zu einem neuen Song soll tunlichst nach einer Woche konkrete Formen angenommen haben. Ist erst mal ein Album in der Mache, bleibt fürs Privatleben kaum noch Zeit. Ein Umstand, der letztlich zu dem Zerwürfnis zwischen Jim Kerr und Pretenders-Vordenkerin Chrissie Hynde führte. Heute lebt der dreifache Vater Kerr (35) mit der englischen Schauspielerin und Sängerin Patsy Kensit wechselweise in London und Schottland. „Im Grunde“, lacht Kerr, „leben wir wie moderne Zigeuner – mal hier, mal dort.“ Und in der Regel genau da, wo gerade die meiste Arbeit anfällt.

In diesem Frühjahr werden es wieder die Konzerthallen sein, denn die Simple Minds wollen dem Publikum auch ihr neues Werk live präsentieren. Mangelnder Zuspruch seitens der zahlenden Zuschauer ist dabei kaum zu befürchten. Denn von ihren Fans, die sich aus ganz unterschiedlichen Altersgruppen rekrutieren, werden die Simple Minds verehrt wie kaum eine andere Band. Da ist zum Beispiel Chris Stemann (24) aus Lünen: „Die Musik (der Simple Minds) baut mich auf, gibt mir Kraft und inspiriert zum Nachdenken. Mit der Musik verbinde ich Träume, Hoffnung, ‚Kampfkraft‘ und nicht zuletzt ein gewisses sozialkritisches Engagement. Die Simple Minds haben den Soundtrack zu meinem bisherigen Leben, zu meiner Jugend geschrieben. Ich hoffe, 1995 mein 50. Simple Minds-Konzert sehen zu können. Die Tickets für Dublin, London, Paris, Brüssel, Den Haag, Hamburg, Dortmund, Frankfurt, München, Wien etc. sind jedenfalls schon gesichert.“

Eine glühende Verehrerin von Jim Kerr und Charlie Burchill ist auch Susanne Trauten (32) aus Rheinberg: „Für mich sind die Simple Minds die beste und tollste Band der Welt, weil sie trotz ihres Erfolgs auf dem Boden geblieben sind.

In ihrer Musik bringen sie das rüber, was die Menschen bewegt, und womit ich mich identifizieren kann. Die Menschen und die Musik stehen bei ihnen im Mittelpunkt. Außerdem finde ich ihre Texte ungeheuer ansprechend. Sie haben mir geholfen, über ein persönliches Tief hinwegzukommen.“

Ein echter Fan auch Roswitha Hövelmann (37), Verwaltungsangestelle aus Tönisvorst: „Bei Live-Auftritten steht Jim Kerr nicht nur rum und spult sein Programm ab, sondern ackert und schafft es, dank seiner eindeutig vorhandenen Ausstrahlung, die Leute mitzureißen. Man kann gar nicht anders, man muß einfach mittoben.“

Was Wunder also, daß Kerr und seine Kompagnons auch mit Blick auf ihre 95er Tournee mit einem frenetischen Publikum rechnen können. Doch was kommt danach. Dann, wenn wieder schottische Ruhe eingekehrt ist? Für Kerr keine Frage: „Dann wollen wir noch bessere Songs schreiben und noch bessere Alben aufnehmen als bisher. Denn das ist es, was wir tun, wie wir leben und was wir lieben.“