Simple Minds – Street Fighting Years


Dreieinhalb Jahre nach ihrem letzten Studio-Album kommen die Schotten mit einer krassen musikalischen Kehrtwendung daher: Nach schwülstigem Techno-Pop haben Kerr & Co jetzt Folk, Blues und schweren Rock entdeckt.

Die im Februar ’89 vorab erschienene LP „Ballad of the Streets“ setzte bereits die Akzente, die auch „Street Fighting Years“ prägen. Die stimmungsvolle Umgebung der schottischen Highlands, in die sich die Band zum musikalischen Brainstorming zurückgezogen hatte, wirkte enorm stimulierend.

Von der ursprünglich elektronischen Minimal-Combo mit spartanischem Techno-Sound ist aber auch gar nichts übriggeblieben. Und die hochmelodischen, soften Elemente des Simple-Minds-Sounds der letzten Jahre werden auf „Street Fighting Years“ so flexibel in Richtung Folk und Blues gedehnt, daß man fast annehmen darf, hier nun die „wahren“ Simple Minds vor sich zu haben.

Konsequent polierten sie auch ihren Sound: Der Name Trevor Horn als Co-Produzent könnte dabei allerdings täuschen. Der ehemals berühmt-berüchtigte Techno/Disco-Wizard hielt sich mannschaftsdienlich zurück und leistete Frontman Jim Kerrs gewachsenen musikalischen Ausdrucksformen stilvolle Schützenhilfe.

Wie die Single „Mandela Day“ schon andeutete, sind die neuen Simple Minds erwachsener, noch politischer und kritischer geworden. Gleich zu LP-Beginn mit dem Titelsong „Street Fighting Years“, der dem ermordeten chilenischen Sänger Victor Jara gewidmet ist.

Der Minds-Sound ’89 orientiert sich stark an Kerrs-Vorbild Van Morrison: folkig, sparsam, introvertiert bei aller Politesse. Jim Kerr und Genossen wollen eine Band sein und klare Songs mit klaren Aussagen bringen.

Läßt man die stereotypen Symbole (Stephen Biko, Nelson Mandels etc.) beiseite, so bleiben doch immer Kompositionen voll großer Spannungsbögen, umgesetzt in nie überfrachtete Arrangements.

Kerrs Pathos findet seine Töne diesmal vornehmlich in schlanken Balladen, bei denen die Elektronik („Mandela Day“) mit behutsamen Farben tönt. Auch die wiederentdeckte irische Folklore („Belfast Child“) wird nicht, wie etwa bei den Kollegen von den Hothouse Flowers, brachial/rhythmisch aufgeblasen, sondern mit langem Atem und stilsicherem Einfühlungsvermögen umgesetzt.

Wenn diese fast symphonischen Versuche manchmal in puncto Länge des Guten zuviel tun („Soul Crying Out“), so wird man im direkten Anschluß mit frischen, rockig/gitarristischen Klängen wieder entschädigt („Wall Of Love“).

Ein „kämpferisches“ Album auf leisen Sohlen, das keine Revolutionen entfachen wird, aber mit ehrlichen und originellen Songs erfrischt, (wt)

Jim Kerr über die neue LP

„Obwohl unser Studio hier absolut idyllisch gelegen ist, haben wir uns nicht davon abhalten lassen, beinahe so geregelt wie Handwerker zu arbeiten. Montag bis Freitag verbrachten wir im Studio, Samstag und Sonntag war Pause. Während dieser Zeit waren wir mit Menschen zusammen, die Millionen Meilen vom Musikbusiness entfernt leben. Dadurch haben wir nie die Realitäten des Alltages aus den Augen verloren.“

„Klar haben die Funken gesprüht zwischen uns und Produzent Trevor Horn! Das mußte sein – nur so entstehen neue Ideen, kommen frische Impulse auf. Eigentlich hatten wir ja Steve Lipsom als alleinigen Produzenten gewollt, doch hat sich Horn dann sozusagen selbst eingeladen. Er wollte seine bisherige Arbeitsweise ebenso überdenken wie wir, wollte mal mit einer richtigen Band arbeiten. Eine Mengen Ideen kamen von ihm – die meisten völlig unbrauchbar, einige brillant. Lipsom dagegen war eher der ruhende Pol, der Anker. Er hat sich geradezu ins Herz der Simple Minds hineingehört. Er agierte wie ein Techno-Zauberer, der seinen Job mit einer Wald-und-Wiesen-Mentalität angeht.“

Der harte Kern – da waren’s nur noch drei

Für viele war wohl Mel Gaynor’s monumentaler Drum-Stil ein integraler Teil des Simple Minds Sounds. Doch auf „Street Fighting Years“ sind seine Schläge selten zu hören. In der Tat ist seine Position derzeit nicht ganz klar: „Im Moment bestehen die Simple Minds im Kern aus Charlie Burchill, Mike McNeil und mir. Doch finden demnächst Meetings statt, bei denen Mel hoffentlich nicht mehr die beleidigte Leberwurst spielt…“, meint Jim Kerr.

Beleidigte Leberwurst? Gaynor habe Mühe gehabt, sich in den neuen, stillen und sensiblen Simple Minds-Stil einzufühlen, behauptet Kerr, und dann sei die Kommunikation zusammengebrochen.

Natürlich läßt sich Kerr ein Hintertürchen offen, wenn er sagt, daß es kein endgültiger Split sei:

„Mel ist für mich nach wie vor der beste Live-Drummer der Welt“ Weniger Trennungswehen hat ihn der Abschied von Bassist John Giblin bereitet. „Er hat es schwer gehabt, in die Fußstapfen von Derek Forbes zu treten. Es hat auf musikalischer Ebene einfach nicht geklappt. Charakter-Clinches kamen gar nicht erst ins Spiel, er wohnte ja in London, kam jeweils vorbei, wenn er gebraucht wurde. Und das immer seltener…“

Immerhin hat John noch mitgeholfen, den Song „Let All Come Down“ zu schreiben. John’s Job bei den Aufnahmen ist unter anderem von Produzent Steve Lipsom übernommen worden, die fehlenden Drum-Parts wurden von den Ethno-Stars Manu Katche und Stewart Copeland eingespielt.