Simply Red


Drei Jahre hatte sich Rastalockenzopf Mick Hucknall nicht auf der Konzertbühne blicken lassen. Nach dem sensationellen Erfolg seines 91er Albums ‚Stars‘ war er in seinen Privatkosmos verschwunden, hatte sein Apartement in Mailand bewohnt und sich Kochen und Kunst hingegeben. „Früher habe ich Arts studiert, hauptsächlich die Renaissance, und da ist Norditalien eine Fundgrube.“ Das Renaissance-Album seiner Band Simply Red heißt denn auch ‚Life‘, ein bewußter Kontrast zum ‚Star‘-Trek Anfang der 90er. „Da war ich im Starrummel gefangen: Man putzt dir die Schuhe und macht deinen Abwasch. Dabei bin ich viel lieber ganz privat.“ Das durfte er sein bei seinen Streifzügen durch Mailand, das er im neuen Singletitel „Fairground“ verewigt hat: Ein Rummelplatz stand Pate, auf dem sich die Teenager abends treffen und lieben.

Daß ihn sein vornehmlich weibliches Publikum nach wie vor verehrt, davon zeugt der Begeisterungsschrei zum Auftakt der ausverkauften Tournee in Hamburg, denn der fällt um zwei Oktaven höher aus als bei Heavy-Metal-Konzerten. Und die neue Bühne sorgt sogar für hautnahen Kontakt: Wie ein gigantisches Fragezeichen liegt sie quer in der Halle. Hucknall und seine Musiker, angeführt von Heitor P. an der Gitarre, tänzeln spielend über einem silbernen Laufsteg, der beide Bühnenenden verbindet. An der Saaldecke hängt eine an ein riesiges Ofenrohr erinnernde Lichtanlage. Alles wird in samtenes, violettes Licht getaucht, weiße Strahler tasten sich durchs Publikum, als wollten sie jeden einzelnen mit dem Simply-Red-Virus infizieren. So kann man einer tristen Arena Leben einhauchen.

Gleich der Opener, ‚It’s Only Love‘, offenbart alle Qualitäten von Hucknalls Popsoul: einschmeichelnde Melodie, betörendes, aber nie aufdringliches Saxphonsolo von lan Kirkham und solider Midtempo-Groove.

„Ich bin ein Mann der Mitte“, hatte Hucknall am Nachmittag verkündet. „Der moderne Tanzstoff ist mir ein paar BPM zu schnell!“ Seinem Rhythmus entspricht auch die Lichtstrategie. Wo andere den Feuerteufel raushängen lassen, gestaltet Hucknalls Crew mit warmen, kaum merklich wechselnden Farben wahre Lichtlandschaften. In denen bewegt sich der kleine Mann aus Manchester fast wie ein Sexgott: Gewandet in lachsfarbenes T-Shirt und Lederhose, läßt er lasziv die Hüften zu ‚Lives And Love‘ kreisen. Daß er auf der Bühne gut aussieht, verdankt er dem italienischen Designer Krizia. Der hat Gefallen gefunden an Hucknalls ungewöhnlicher Erscheinung und kleidet ihn von Kopf bis Fuß: „Früher war es Moschino, nun ist es Krizia, der meine Bühnenklamotten schneidert. Ich weiß auch nicht, was die an mir finden.“

Wie dem auch sei, nicht nur der Sänger ist perfekt designed, auch die Musik: Denn der kleine Mann aus Manchester hat einen so erlesenen wie weitgefächerten Musikgeschmack, daß er aus den ausgesuchtesten Stoffen wie kein zweiter neue Songkostüme zu fertigen versteht – Perfektion ohne Ecken und Kanten im transparenten Highend-Sound. Nur einmal irritiert er sein auf Schmusepop eingeschworenes Auditorium: ‚Hillside Avenue‘, ein Reggae vom neuen Album und dort mit Sly Dunbar und Robbie Shakespeare eingespielt, wird von der Liveband erstaunlich schroff intoniert. Minuten später die Versöhnung: ‚Stars‘, dann im Zugabenset ‚Something Got Me Started‘ und ‚If You Don’t Know Me By Now‘ – und ganz zuletzt eben jenes ‚Fairground‘, der erste Singlehit vom neuen Album. Zum Abschied hebt der gutgelaunte Meister einen Finger und lobt artig das Publikum: „Hamburg, ihr seid klasse“, verneigt sich Hucknall, „und überhaupt nicht langweilig.“

Fast zwei Stunden innovative Bühnentechnik, ausgezeichnete Lichtdramaturgie, professionelle Musikalität, ausgefuchste Choreographie und gute Klamotten – kurz: Vollbedienung. Den Nachschlag gibt’s 1996, denn dann touren Simply Red richtig durch die Republik. „Das jetzt“, so Hucknall, „war ja nur ein Appetithäppchen.“ Man darf gespannt sein, wie die Techniker die gigantische Lichtanlage am Stadionhimmel befestigen werden.