Simply Red – Rot Kehlchen


Alle lieben Mick Hucknall. Die Simply Red-Fans lieben ihn, seine Firma liebt ihn, sogar Stars wie Tina Turner, Eric Clapton oder Soul-Legende Lamont Dozier lieben ihn. Die ganze Welt feiert Simply Red, weil Mick Hucknall singen kann wie ein Schwarzer. Dabei handelt es sich um einen eher blassen jungen Mann aus Manchester, der überhaupt keine Lust mehr hat, dauernd über Soul im allgemeinen und Hautfarben im besonderen zu diskutieren Weißt du, welche Frage ich echt nicht mehr hören kann?“ fragt Mick „Red“ Hucknall und wartet die Antwort gar nicht erst ab: „Jeder verfluchte deutsche Journalist hat mich das gefragt.“ Er verfällt in eine boshafte Imitation des deutschen Akzents: „Vot, in your opinion, iss Soul?“ Frustriert springt er quer durchs Zimmer. „Wie soll man so eine Frage beantworten, wenn man weder Musikwissenschaftler noch ein … noch ein… Philosoph ist?!?! Was ist Soul?? Scheiße, dieses Wort ist so abgedroschen, daß es gar keine Bedeutung mehr hat. James Brown hat Soul, das wissen wir alle. Billy Holiday hatte Soul. Aber auch Neil Young. Und Bob Dylan … die Stones. Sogar Cole Porter hatte Soul. Absolut.“

Verständlich, daß ihn dieses Thema verdrießt. Denn jedesmal, wenn es zur Sprache kommt, erwartet man von ihm indirekt, daß er sich rechtfertigen und verteidigen muß. Wir haben es hier nämlich mit einer Variante der unvermeidlichen Gretchenfrage zu tun: Kann ein weißer Mann den Blues singen ?

Hucknall, verdammt nochmal, kommt doch aus der Punk-Szene von Manchester! Mit welchem Recht singt der ehemalige Sänger der Frantic Elevators (deren Platten jetzt zum Ärger von Simply Red wiederveröffentlicht wurden) die Songs von Ella Fitzgerald oder Sly Stone??

Er kann natürlich argumentieren, daß wir Pop Kids alle dieselben Wurzeln haben. Daß Plattenspieler und Radio die Welt kleiner gemacht und uns eine gemeinsame Sprache gegeben haben …

Man möchte ihm ja zustimmen, wäre da nicht die Kluft zwischen seinem frühzeitig gealterten, sommersprossigen Koboldgesicht mit dem rotgelben Schopf (erinnert merkwürdig an James Cagney) und DIESER STIMME. Die Stimme ist eindeutig schwarz; da führt kein Weg dran vorbei. Sie klingt nach dem sinnlichen Gospel-Singsang einer großen schwarzen Mama. Der Widerspruch zwischen Gesicht und Sound wirkt theatralisch absurd. Eines Tages wird sich der Vorhang am hinteren Ende der Bühne lüften, und wir werden entdecken, daß Simply Red schon die ganze Zeit Etta James oder Fontella Bass war. (Nun ja, es ist nur eine Theorie.) Aber Simply Red ist eine Band. Das klarzustellen ist ein weiteres großes Anliegen von Hucknall. Letztes Jahr hatte ich im Münchner Hilton deshalb mit Mick eine Auseinandersetzung. Er weigerte sich, mit der Presse zu sprechen; ich weigerte mich, ein Exklusiv-interview mit dem Simply Red-Bassisten zu machen. Ich sagte Mick, er sei genauso unbestritten das Red in Simply Red wie Marilyn Monroe das Blonde in „Blondinen bevorzugt“; an seinen Begleitmännern sei nun mal niemand interessiert.

Rauch quoll aus seinen Ohren. Er antwortete, „ich sei einfach arrogant“ und stapfte trotzig zur Bar.

Dieses Mal schließen wir einen Kompromiß: Ich rede mit drei Bandmitgliedern; ein Tim und ein Chris leisten uns Gesellschaft. Tim ist Bläser

und Chris der Schlagzeuger. Zwei höfliche junge Männer mit kurzen anonymen Haarschnitten und dazu passenden schwarzen Klamotten. Ihre Anwesenheit wirkt wie eine diplomatische Geste, um ihre Egos zu befriedigen.

Sie haben wenig zu sagen, außer der Neuigkeit, daß sie nichts mehr begeistern kann. Grammys sammeln, Goldene und Platin-Schallplatten verliehen zu bekommen, die Welt zu Füßen, jeden treffen, der sie je beeinflußt hat… für sie ist das nichts als Alltag. „Angenehm, aber nicht überwältigend“, sagt Tim ohne eine Miene zu verziehen.

Daß Diana Ross während der Aufnahmen zum neuen Simply Red-Album MEN AND WOMEN im Studio vorbeischaute, konnte sie schon mehr beeindrucken. Mick und Diana sind jetzt dicke Kumpels. Diana wird einen der Songs covern: „Shine“.

Und einige der Stücke hat Hucknall zusammen mit Lamont Dozier komponiert. Viele Leser dieser Zeitung werden zu jung sein, um sich daran zu erinnern, aber wenn es in den 60ern auf Tamla Motown einen Hit gab, dann konnte man sicher sein, daß Lamont Dozier ihn entweder geschrieben oder produziert hatte — oft beides. Jetzt ist er Simply Red-Fan. Er kam nach Los Angeles, um sie „Please Don’t Make Me Suffer“ singen zu hören, einen Song, der es ohne weiteres mit allem aufnehmen kann, was Dozier je für die Four Tops geschrieben hat.

Tim: „Er stand auf seinem Sitz und schrie. “ Mick: „Yeah, er rief:, Yeah, Mick! Go! C’mon, babylDoit!'“

Enc Clapton ist noch so ein graumelierter Herr, der in Hucknall vernarrt ist. Tina Turner ist ein Fan. Chaka Khan auch.

Mick nimmt ihre Bewunderung locker hin.

„Warum sollte ich maßlos beeindruckt sein ? Das sind auch keine besseren Menschen als ich. Die müssen sich auch alle die Nase putzen und Scheißen gehn.“

Gut, aber in der Zeit, in der sie nicht auf dem Klo saßen, haben sie doch alle wesentlich mehr erreicht als Simply Red. Das wäre zumindest Grund für Respekt, hätte ich gedacht…

„Oh, ich respektiere durchaus, was sie erreicht haben; aber ich sehe nicht ein, warum ich mich davon einschüchtern lassen sollte. Und wenn sie irgendeine Art von Zusammenarbeit mit mir suchen, dann bin ich sofort dabei. Ich würde nie aus falscher Bescheidenheit zögern und sagen ,Jesses, diese Ehre hab ich ja gar nicht verdient.‘ Wozu sollte das auch gut sein ?“

Chris bringt’s auf den Punkt: „Weißt du, unsere Auftritte mit James Brown waren eine Feuertaufe.

Praktisch die ersten Gigs, die wir hatten, waren als Vorgruppe von James Brown in London. Er war unser Held — und das Publikum war sein Publikum; aber wir haben ihre Herzen erobert — und selbst er stand auf uns.“

Mick: „Genau, danach konnte uns nichts mehr beeindrucken. Sieh mal, wir messen den Erfolg anders als die meisten Bands. Wir wissen, wieviel Fortschritte wir als Band, als Musiker und ab Handwerker gemacht haben. Und das zählt für uns. „

Chris und Tim nicken heftig. Aber Handwerk … es ist mindestens zehn Jahre her, daß ich junge Popmusiker über Handwerk habe reden hören. Sollte Punk nicht ein für alle Mal aufräumen mit dem handwerklichen Können?

„Ich war ungefähr fünf Minuten lang Punk“, sagt Mick. „Zorniger junger Mann zu sein, hat mich schnell gelangweilt. In ein paar Jahren werden die Leute mit einer kühleren Objektivität auf die britische Punk-Szene zurückblicken und feststellen: ,Das war die schlechteste Popmusik aller Zeiten.'“

„Naja, in Manchester gab es ein paar gute Bands“, werfen Chris und Tim ein. Sie müssen’s wissen; schließlich spielten sie in einer davon, der inzwischen vergessenen Durutti Column.

Mick grunzt. „Die original Buzzcocks, mit Howard Devoto und Pete Shelley, waren exzellent“, gibt er zu, „Wir hören auch immer noch The Fall und Marc Riley mit den Creepers – die sind sogar noch besser als The Fall. Aber im Großen und Ganzen hat sich der Punk idiotischerweise selbst das Wasser abgegraben. Mit Musik zu tun haben und dabei Anti-Musik zu sein, ergibt keinen Sinn. Wenn Punk selbst ein Anti-Business etabliert hätte, wären vielleicht einige gute Sachen bei herausgekommen. Stattdessen hat diese Periode lediglich die Kreativität in England zum Stillstand gebracht.“

Micks Blick wird abwesend. „Ich hab nur grad‘ an was gedacht. “ Er dreht sich zu Tim: „Hey, an welchem Tag kommt das Album raus?“ Timm sagt’s ihm und fügt hinzu: „Ich glaube, wir spielen an dem Abend in Glasgow.“

„Yeah …das kam mir nämlich auch gerade. Wir starten unsere Tour, bevor das Album draußen ist! Was für ’ne Organisation ist denn das?? Die Kids werden die Songs nicht kennen.“

Na und? Nach dem Konzert werden sie sie kennen.

„Ja, aber dazu sind Konzerte nicht da. Du mußt doch auch mal jung gewesen sein. Kannst du dich nicht mehr daran erinnern, eine Platte zu kaufen und sie auswendig zu lernen ? Sie noch und nöcher zu spielen und dann zum Konzert zu gehen: die irre Befriedigung, wenn du jeden Song schon bei den ersten Akkorden erkennst? Sowas wie: ,0h super! Das ist gut! Ich mag dieses Stück!'“

Die Band steckt die Köpfe zusammen: „Hört mal: Nehmen wir doch die zweite Platte erst in der zweiten Tourwoche mit in die Show …“

Ich überlasse sie ihren Strategien.