Singles


Was gleich am Anfang auffällt: Keine Band, kein Künstler, deren/dessen Name mit den Buchstaben A mit K beginnt, scheint in diesem Monat eine besprechenswerte Single veröffentlicht zu haben. Das sind Realitäten, an denen wir nicht vorbeikommen. Deshalb steigen wir gleich bei L ein, L wie Peter Lohmeyer & Fink mit Ulrich Tukur. Diese komische Kombination aus Musikern (Fink, die Hamburger Country-Band) und Schauspielern (Lohmeyer singt, Tukur am Akkordeon) erweckt im Kuschel-Calexicohaften „Bagdad Blues“ (Trocadero/Indigo) den Eindruck, als sei der Zweitplatzierte in der Rubrik „Depp des Jahres“ im musikexpress-Pop Poll, George W. Bush, nicht wirklich an einer diplomatischen Lösung des Irak-Problems interessiert, sondern würde auf Teufel-komm raus einen Krieg wollen. Also sowas.

Auch ein eindeutiger Fall von „also sowas“ sind The Mock Turtles. Zu ihren Lebzeiten hat sich kein Schwanz für die relativ famose „Madchester“-Band interessiert. Und jetzt plötzlich wird „Can You Dig It?“ (Virgin), eine fluffig-atmosphärische Single-B-Seite aus dem Jahr 1991, als Single (inkl, dreier Fatboy Slim-Remixe) wiederveröffentlicht. Woran das liegt? Vielleicht daran, dass der Song im Werbespot eines multinationalen Taschentelefon-Vertragsanbieters zu hören ist und dass die Plattenfirma, die den Backkatalog der Mock Turtles verwaltet, mutmaßt, dass das den Superstar gesucht habende Deutschland deswegen vielleicht jetzt plötzlich was vom Indie-Pop der Mock Turtles wissen will? Kann das sein? Kann es daran liegen? Ist das der Grund? Eher unwahrscheinlich.

Auweia, hier bahnt sich ja wohl wieder einmal die Zukunft des Rock erbarmungslos ihren Weg. Und zwar in Form der Mountaineers, einem Trio aus Wales, das sich jetzt in der Geburtsstadt von Heidi „Sugababe“ Range angesiedelt hat und mit der zweiten EP „Mountaineers (Mute/Virgin) um die Ecke gebogen kommt (bitte erboste Leserbriefe schreiben, wenn noch einmal die unsägliche Wendung „um die Ecke gebogen“ hier auftauchen sollte). Sechs Tracks, nein Songs, zwischen LoFi-Ästhetik und Baukastenelektronik. Angeblich nur mit einem alten PC, einem Mikrofon und ein paar Softwareprogrammen aufgenommen.

The Orb rennen beim Schreiber dieser Zeilen offene Türen ein. Eine seiner zehn Lieblings „Bands“ aller Zeiten. Alex Patterson und Thomas Fehlmann veröffentlichen mit „Kompassion“ (Kompakt/EFA) eine drei-Track-Maxi auf dem Kölner Kompakt-Label. Sensationell genug. Sensationeller noch das: Mit der Single positionieren sich die legendären Erfinder des Ambient House als perfekte Mimikry-Elektroniker. Das ist zweimal („Cool Harbour“, „Gee Strings“) Kölner Minimal House reinsten Rheinwassers und einmal Ambient ohne Pop bei „Dilmun“, obwohl dieser Track schon auf Pop Ambient 2003 zu hören war. In Zukunft darf man zu The Orb wohl gerne The Mock Dettinger sagen.

Nicht in allem, auf dem „Music“ (Polydor) draufsteht, ist Madonna drin. Sondern manchmal Scycs. Die fünf Magdeburger Pop-Rocker. Anstatt zu erzählen, dass das hier eine Mitwipp-Gute-Laune-Party-Hymne irgendwo zwischen Blink-182 und Fools Garden ist, lösen wir lieber das Rätsel von einem Absatz weiter oben: Liverpool ist die Antwort. Heidi Range stammt aus Liverpool. Hätten Sie’s gewusst?

Wenn das so weitergeht, verliert Jamaika bald seinen Ruf als Hauptquartier des Dancehall-Reggae. Immer mehr Acts aus Deutschland widmen ihre ganze Schaffenskraft dem Genre, das nicht zuletzt Dank Gentleman zu einem Fall für den Mainstream geworden ist. Gentleman war bis Ende der Neunziger MC bei Silty Walks Movement, die mit „Que Sera“ (Four Music/Columbia/Sony Music) bereits die zweite Single aus ihrem selbstbetitelten Debütalbum auskoppeln. Stopp! Kurzes Zwischenspiel. Frage: Selbstbetitelt, was soll das heißen? Dass Silty Walks Movement selber einen Titel für ihr Album ersonnen haben? Oder dass ihre Platte den Titel „Selbst“ trägt? Antwort: Nein, selbstbetitelt ist eine schlechte Übersetzung des englischen „self-titled“ und müsste korrekt „gleichnamig“ heißen. Wo waren wir stehengeblieben? „Que Sera“, eine sonnige, vielleicht ein bisschen zu sonnige Reggae-Schunkelnummer. Aber der Wahnsinn kommt an vierter Stelle und heißt „Friday 13th“, ein dubbiges Instrumental mit der schönsten Hammond-Orgel seit mindestens Jackie Mittoo.

Connie Holzer ist den Musikmedienschaffenden der Republik als Mitarbeiterin der legendären Promoagentur Strunz! Enterprises ein Begriff. Connie hat eine Zwillingsschwester, und die heißt Claudia. Beide haben zusammen mit Liam Howe und Joe Wilson von den Sneaker Pimps als Ultrafox die Single „Cloakroom Girl“ (Loser Friendly – UK-Import) aufgenommen. Das ist vier mal lauwarmer bis heißer Synthie-Pop-Post-Disco-Shit, um nicht das böse Wort Electroclash zu verwenden. Jetzt fehlt nur noch, dass Ute Miehling von Strunz! mit Paul Godfrey und Skye Edwards von Morcheeba als Hooman League was macht. Mann, das rockt aber! Alter Schwede! MTVee-Jay Markus Schultze hat eine Band. Die heißt Underwater Circus. Und rockt. Und rockt. Und rockt. Die Single „Not You“ (Pirate Records/Sony Music) handelt vom Geschlechtsverkehrhaben-wollen des Ich-Erzählers. Der Song kommt mit „einer Roughness daher, die ihresgleichen sucht“ (steht auf dem Spickzettel). Das Ganze ist dermaßen rough-rockend, dass ein Mensch an dem Ort, an dem die Wiege des roughen Rock-’n’Roll steht (in Hollywood), auf Underwater Circus aufmerksam wurde und den Song auf den Soundtrack des Spielfilms „Igby Goes Down“ gepackt hat. In den Hauptrollen: Jeff Goldblum und Susan Sarandon, die alten Rough-Rocker.