Skids


Die ,,Szene 79" ist die deutsche TV-Sendung, die in den vergangenen zwei Jahren als einzige New Wave-Gruppen einen festen Platz im Programm eingeräumt hat. Nicht nur aus diesem Grunde wird sie nun zum Jahresende vom Bayerischen Rundfunk eingestellt. Kurz vor Sendeschluß erwischte Harald Inhülsen in den Münchener TV-Studios glücklicherweise noch die Skids. Vor ein paar Wochen etablierte sich die schottische New Wave-Band mit der Single "Into The Valley" weit oben in den britischen Hitlisten. Der Gig in der "Szene 79" war ihr erster Auftritt außerhalb von Großbritannien.

We’re Dark Ages/Read about WW it on magazines pages/ Wearing clothes of the tatest rages/These are The New Dark Ages… “ (‚New Dark Ages’/The Mutants).

Der Punk ist tot. Es lebe der Punk. Es lebe die Moderne Rock Musik. Es lebe die Gegenwart. Die aus der Vergangenheit hervorgegangen ist. Die Zeit der Ein-Weg-Gesellschaft, in der die Gruppen so schnell auftauchen, wie sie verschwinden. Vermarktet werden. Konsumiert werden. Trends werden gemacht und zerstört. Platten kaufen und immer wieder kaufen. Was wir dann als Freiheit empfinden sollen/dürfen. Überfluß fließt/mündet in Mangel. Konzentration. Fusion. Annexion. Geschäft ist Geschäft. Und Fortschritt ist Fortschritt. Ariola kauft Arista, das Gulf + Western-Konglomerat übernimmt EMI (England). Platten-Großkonzerne puschen nur noch die Gruppen, deren Verpackung stimmt, die Gewinn versprechen. Die die Musik machen, die die Leute hören wollen. Wollen die Leute das wirklich hören? Den Disco-Matsch? Den nächsten Hype? Die Middle-of-the-road-Musik? Darauf kann man nur antworten, daß dem Publikum viel zu selten die Gelegenheit gegeben wird, etwas ‚Vernünftiges‘ zu hören! Eine der wichtigsten/ größten Errungenschaften, die der Punk hervorgebracht hat, ist das Bewußtsein, etwas selbst zu. machen! Selbst ein Instrument in die Hand zu nehmen, selbst Platten zu machen, selbst Fanzines herzustellen. Um die wirklich eigenen Empfindungen/Bedürfnisse auszudrücken. Und dies geschieht heute eben nicht nur in den Umschlagplätzen der Ware Musik, den Metropolen, sondern überall im Land, wo der Mensch noch Mensch ist. ‚Und da braucht er was zu fressen bitte sehr!‘ Diese Erkenntnisse pumpten auch den Skids den Kopf auf. Ende ’76, die Sex Pistols brüllten gerade ihr ‚dirty fucker‘ zur Teezeit im Fernsehen, gründeten der Gitarrist Stuart Adamson und der Bassist Bill Simpson in der schottischen Kleinstadt Dunfermline die Skids. Mit Tom Kellichan (Drums) und Richard Jobson (Gesang). Zusammen mit den (inzwischen verblichenen)Rezillos waren ihre Auftritte das schottische Mekka in der Punk-/ New Wave-Szenerie. Sandy Muir, der einen Plattenladen in Dunfermline hat, gründete das Label NO BAD-Records. Die erste Skids-Single „Charles‘ erschien und Sandy wurde der Manager. ‚Charles‘ ist schwarzer Humor: Stuart berichtet seine Erfahrungen als Fabrikarbeiter; der Mensch-Arbeiter wird langsam in einen Roboter umgewandelt, zur Maschine reduziert. Die melodischen Gitarren- und Gesangsteile des Songs bilden einen Kontrapunkt zum bissigen/inhaltsschweren Thema. John Peel klebte ‚Charles‘ auf seinen Plattenteller, holte die Band zu seinen Sessions ins ,Radio One‘ und machte sie so in England bekannt. Es kam noch eine weitere Single ‚Sweet Suburbia‘, ehe das erschreckende/aufreibende Debut-Album ‚Scared To Dance‘ (Virgin) einschlug.

Die vier Jungen leben weiterhin bei Mum und Dad, zu Hause in Schottland. Kurz vor dem Interview in München, dem ersten, das die Skids außerhalb der britischen Inseln gaben, übernahm der ex-Rich Kid Rusty Egan das Schlagzeug von Kellichan, weil dieser Probleme im Kopf mit seiner Freundin hat(te). Rusty hat einen Club in London, in dem ’nur‘ Elektronik-Avant-garde-Rock-Musik gespielt wird: Kraftwerk, Peter Baumann, La Düsseldorf, Neu.

Die Skids machen es den Zuhörern/-schauern schwer, weil sie nicht einzuordnen sind. Die Gruppe ist aus den frühen Punk-Ereignissen entstanden bringt aber nicht den bum-bumbum-Schlag aufs Gehirn. Sie macht Moderne Rock-Musik. Wenn du’s Heavy Metal nennen willst, tu’s. Wenn du zu ihrer Musik Pogo tanzen willst, tu’s. Nenn es Pop-Musik, auch das trifft zu. Ihre Songs (die Musik schreibt der Gitarrist Stuart, die Texte Richard Jobson) werden charakterisiert durch Stus scharfe/kontrollierte Lead-Breaks, durch seine einschneidenden Gitarrenmelodien, durch die Schlaghammer-Drums, und durch Richards Kopf-Aggressiv-Texte. Mit diesen Texten muß man sich auseinandersetzen. Unter die Oberfläche tauchen. Die treffen nicht beim ersten Hören. Hier verbirgt sich ein extrem persönlich/individuell wahrgenommenes Umfeld-/ Umweltbild, das weit entfernt ist von einer eindimensionalen Beschreibung des Zorns/der Unterdrückung/des Elends/des Großstadtlebens (wo sich der Verfall unserer Gesellschaft am deutlichsten dokumentiert). No! Die Skids-Texte beschreiben/interpretieren persönliche Erlebnisse/Empfindungen des Mr. Jobson, die aber Allgemeinheitscharakter haben, weil sie die Lebensparanoia/die ganze Rock n Roll-Paranoia ausdrücken, scared to dance! Keine Zukunftsnostalgie – just the presence.

Das Interview. Rusty verläßt den Raum, weil er die Skids sprechen lassen will. Es reden Jobson und Adamson. Simpson sieht aus dem Fenster. Zerreißende Gitarre, sumpfender Baß, trommelndes Schlagzeug; und immer wieder diese Melodie! Ahoy! Ahoy! Ahoy! ‚Into The Valley‘ lag in meinen Ohren. Stu: „Die Produktion von ‚Scared To Dance‘ kehrt den Gitarrensound viel zu sehr in den Vordergrund. Es gibt zu viele Gitarren-Overdubs. Unserem Produzenten, David Batchelor, gefiel das so, und da dachten wir, dann muß es ja wohl stimmen.“ Richard: „Was die Studioarbeit betrifft, so waren wir echt naiv. Wir hatten zwar schon die Singleaufnahmen hinter uns, doch waren wir noch nie für drei bis vier Wochen im Studio. Die Zeit drängte und Davids Ideen nahmen langsam ab. Er lehnte zum Schluß alles ab, was von uns kam. Trotzdem sind unsere Ideen natürlich noch auf dem Album vorhanden. Aber die Overdubs, das geht auf sein Konto. Es bleibt ein gutes Album. David ist sehr kommerziell orientiert, und er wollte die Skids leicht verdaulich klingen lassen, keine Experimente. Bei ‚Into The Valley‘ haute das hin. Die Skids wollen aber umherirren, experimentieren, also trennten sich unsere Wege. Jetzt arbeiten wir mit Bill Nelson (ex-BeBop Deluxe, jetzt bei Red Noise). Wir besprechen die Arbeit im Studio untereinander, es ist ein Ideenaustausch. Bill ist ein Teil der Skids, auf ‚Masquerade‘ (der letzten Single) spielt er die Keyboards. Mit ihm können wir das tun, was wir wollen, er hilft uns. Bill hat neue, fortschrittliche Ideen und er gibt uns und wir geben ihm.“

Die neue LP wird den Titel ‚War Themes‘ tragen, eine Deutschlandtour ist für Ende ’79 geplant. Richard: „England ist momentan sehr langweilig dieselben Bands, dieselbe Szene, dieselben Gesichter, die Plattenfirmen nehmen eben so viel Mist-Gruppen unter Vertrag – da braucht man Abwechslung. Wir brennen darauf, in Deutschland, Amerika und vielleicht auch Japan zu spielen, doch unsere Firma (Virgin) ist ein bißchen lahm. Wir fordern von ihr mehr Beachtung! Die TV-Show heute Abend ist unser erster Auftritt außerhalb Großbritanniens.“ Rusty kommt rein und man diskutiert, wer was zum Auftritt anziehen wird. Er sieht sich die weiten Farb-Hosen der Anderen an und fragt: „Hell! Wo habt ihr das Geld her für diese Klamotten! Ich muß meine Hosen immer noch bei Plaza kaufen!“ Man steigt in seine Sachen und einigt sich.

Richard: „Die Deutschen werden in den Songs auf ‚War Themes‘ eine wichtige Rolle spielen. ‚Working For The Yankee Dollar‘ handelt von Deutschland im 2. Weltkrieg, von amerikanischen Söldnern. Ich weiß nicht warum, da ist so’n militärisches Gefühl. So wie heute, wenn ich die Leute hier treffe, dann habe ich so einen militärischen Eindruck von ihnen. Sie sind ’ne sehr trockene/undurchlässige Rasse.“

Richard über die Einflüsse auf Musik und Text: „Meine Texte sprechen immer von der Vergangenheit; Gegenwart und Zukunft beeinflussen mich dabei nicht. Viele wollen schnell in die 80er und in die 1984-Orwell-Periode, wie Bowie und Bill Nelson das vor fünf Jahren gemacht haben. Für mich ist die Vergangenheit viel interessanter, die ist schwarz-weiß, also schreib ich darüber. Ich klaue ’ne Menge von anderen; wenn ich was lese oder höre und eine Zeile ist gut davon, dann setze ich die in einem neuen Song auch ein.“ Stu: „Als ich angefangen habe, Gitarre zu spielen, vor vier Jahren, da hörte ich Mott The Hoople und BeBop Deluxe. Aber beeinflußt? Nichts bestimmtes, alles, was du so hörst.“ Richard: „Was ’76/’77 in London passierte, hat auf uns gewirkt, doch wir haben unseren eigenen Stil!“ Und noch ein Wort zur Company: „In den letzten drei Jahren sind wir ununterbrochen aufgetreten, und wir haben jetzt den Punkt erreicht, wo auch große Hallen von den Skids gefüllt werden können. Aber die Firma hilft uns überhaupt nicht, das ist alles eigene harte Arbeit. Die Companies haben ihre Methoden beibehalten gegenüber den jungen neuen Bands. Dieselbe Art der Promotion, wie vor fünf Jahren, sie sehen nur den Markt, die verkauften Platten, und da gibt’s für die vielleicht wichtigere Leute als die Skids.“

Outro: Rusty sucht am nächsten Tag in der Stadt nach der schwarzen NEU-Platte, die Anderen gehen mit den Damned und Giovanni Dadomo (vom engl. Sounds) in die Vergangenheit. Nach Dachau. Um zu sehen. There is danger at the edge of town.