South by Southwest 2012: der Festivalbericht – Tag 2


Beim South-by-Southwest-Festival 2012 in Austin, Texas, treten unter anderem Michael Kiwanuka, Kindness, The Magnetic Fields, Bonaparte, Blood Orange und Dry the River auf. ME-Redakteur Stephan Rehm ist dabei – und schreibt für uns ein Tagebuch. Lesen Sie hier Teil 2.

Das South-by-Southwest-Festival (SXSW) in Austin, Texas, gilt als eines der weltweit wichtigsten Fan- und Branchenfestivals der Musik und des Films. Konzerte gibt es unter anderem von Michael Kiwanuka, Kindness, The Magnetic Fields, Bonaparte, Blood Orange und Dry the River. In diesem Jahr ist ME-Redakteur Stephan Rehm vor Ort und berichtet. Lesen Sie hier Teil 2.

SXSW, Tag 2

14. März – Das Hipstertum erlaubt keine Zufriedenheit. Das Leben des Hipsters definiert sich aus der ewigen Angst, etwas verpassen zu können. Zwanghafte Rastlosigkeit ist die Folge. Stillstand ist der Tod und Austin ist zumindest für diese Woche die Weltstadt der Hipster. Jeder weiß viel besser als jeder andere, wo jetzt eigentlich die Post abgeht. Waren es gestern noch die „inoffiziellen Konzerte“, auf die man ausschließlich zu gehen habe – ja, ein regelrechter Karrierekiller sei es, im offiziellen Programm des Festivals zu spielen –, ist es heute die Eastside, ein Stadtteil Austins, der auf der Übersichtskarte mit all den „offiziellen“ Venues gar nicht erst verzeichnet ist. Gibt es die Eastside wirklich? Ein weiser Kollege vom Bayerischen Rundfunk vergleicht sie mit der „Blauen Blume“, dem Sehnsuchtssymbol der Romantiker, einem Bild für das metaphysische Streben nach dem Unendlichen. Ich tue, was jetzt nur zu tun sein kann: Ich entziehe mich all dieser Crazyness, begebe mich zwar umgehend in die nächste, aber in eine ganz, ganz andere:  in eine schwitzige, fensterlose BBQ-Scheune in einem Tristesse definierenden Kaff namens Lockhart weit außerhalb Austins.

Man fühlt sich darin wie ein Schwein, das an den Trog gelassen wird. Der Trog, behauptet er zumindest von sich selbst, beliefert sogar das Weiße Haus mit seinem krassen Fleisch. An einer Wand stehen unter den Überbleibseln toter Tiere grelle Kaugummiautomaten. Ein Schrein der Geschmacklosigkeit. Übergewichtige Familien verspeisen ihre Pendants aus dem Reich der Fauna. Dazu läuft Gram Parsons, Willie Nelson und natürlich Johnny Cash. Man muss das gesehen haben, will man Texas verstehen. Und das, was sich außerhalb des Restaurants abspielt, auch: nämlich so gut wie nichts. In einem Schaufenster, das die Sehenswürdigkeiten des Kaffs anpreist, sind unter anderem eine Verkehrsinsel und eine sämtlichen Hygienevorschriften widersprechende Gefängniszelle zu sehen. Aus ihr grüßt freundlich ein Sträfling in Hawaiihemd. Dann ist der Katastrophentourismus aber auch abgehakt. Zurück aufs Festival. Davor noch kurz in einen Lagerhallen-großen „Thrift Store“, einer dieser unzähligen Second-Hand-Läden hier. Für einen Dollar irgendwas geht ein lächerliches Aerosmith-Shirt mit. Ob das Hipster-kompatibel ist? „Gehen“ solche Ironieklamotten jetzt schon wieder?

Bei Oberhofer (der Amerikaner sagt freilich: „Abrhafr“) aus New York tun sie das auf jeden Fall. Die Reißbrett-Indierocker tragen verwaschene Mickey-Maus-Hemden und erfüllen auch sonst nicht wenige Klischees: Der 20-jährige Sänger Brad Oberhofer lobt die Vorzüge der Stadt und fragt, ob ihm nicht jemand eine Fahrrad leihen könne. Er würde doch so gerne durch die Stadt radeln. Die Anbiederung funktioniert nicht, niemandes Hand geht hoch. Dafür bewegen sich ein paar Hüften und Füße zu den gefälligen, aber auch immer gleichen Songs (keiner kommt ohne „Whoa-ho-ho-oh-oh“-Hook aus). Draußen auf der Straße drückt einem das Hip-Hop-Duo X-Change & Good Money eine Promo-CD ihres bald erscheinenden Albums in die Hand. Sie haben das Cover – es zeigt die Band vor einer Wand – selbst entworfen. „You gotta do that, man“, sagt einer der beiden, „you gotta have an image. People don’t do images anymore. But image sells, just like sex sells.“ Hm. Unter einem Image hatte man sich eigentlich immer etwas anderes als ein tatsächliches Bild vorgestellt. Aber das SXSW ist ja auch eine Messe, die dazu da ist, Ideen auszutauschen. Also wieder was dazugelernt. Mach dir ein Cover auf deine Platte und du sellst.

Das eigentliche Thema auf den Straßen ist aber die Nutzung von Obdachlosen als mobile WLAN-Hotspots. Ja, wirklich, they do that. Pro Tag bekommt der sich freiwillig meldende Obdachlose 20 Dollar, plus die Spenden der Hotspot-Nutzer und ein T-Shirt auf dem steht „I’m [Vorname], a G4 Hotspot“. Respektloses Ausnutzen Bedürftiger oder ähnlich gutes Konzept wie eine Obdachlosenzeitung? Austin ist gespalten.

Austin ist sich allerdings sehr darüber einig, dass die schwedischen Dreampopper Korallreven großartige Musik machen. Offensichtlich durch Mund- oder wohl eher: SMS-Propaganda füllt sich deren Konzert im überschaubaren Club „Barbarella“ rasant. Die hypnotische Musik des Trios verzaubert den nach nur drei Songs rappelvollen  Laden. Klare Gewinner des Tages sind aber Django Django, die den repetitiven Psychedelic-Sound von Korallreven noch etwas weiter führen und mit einem zwingenden Groove versehen, dass man sich schnell wie bei einem Springbreak fühlt. Stiernackige NuMetal-Monster, Mädchen mit Hosen, die so kurz sind, das sie kaum noch als solche zu erkennen sind und ergraute Musikjournalisten tanzen so begeistert, dass sich sogar die Band fragen dürfte, wer hier denn wie vielen was in den Drink gemischt hat. Immer wieder streifen die ungläubigen Blicke des Quartetts aus London die wild gewordenen Besucher. Sollten sie mal besser ihrem eigenen Hype glauben, die Djangos.

Danach lädt Com Truise zur, haha: Afterhour um Viertel nach eins nachts – um zwei Uhr müssen die allermeisten Venues hier bereits schließen. Der Mann hat offenbar wenig zu tun, dreht aber exzessiv an überschaubar vielen Reglern. Konsequenzen hat dieses Geschraube nicht. Der glasklare Chillwave bleibt, wie er zuhause aufgenommen wurde. Der Elektroniker aus New Jersey müsste eigentlich nur auf Play drücken und könnte dann entspannt – it’s CHILLwave after all – dem Treiben vor der Bühne zusehen. Aber will man es ihm verübeln, dass er es nicht tut? Nein, denn seine Kaschiertechnik ist einfach zu niedlich. Und der Künstlername ist einfach zu dämlich, um ihn zu bemängeln. Und, am wichtigsten: Das ist gute Musik. Voller Positivität, ab und an gar ein wenig an die Unterseite der Euphorie kratzend. Sowieso aber eine angenehme Abwechslung zum allgegenwärtigen Skrillex-Bumms, der zu jeder Umbaupause gespielt wird, der aus den Lautsprechern der Fahrrad-Taxis dröhnt und morgen sogar vom „Maestro“ höchstselbst von der Bühne kommen wird.  Aber morgen stellt sich auch heraus, ob man die Lotterie gewonnen hat und zu Bruce Springsteen darf, wo der Geheimauftritt von Busta Rhymes und Lil’ Wayne sein wird und ob Snoop Dogg nicht doch noch kommt. Aber die WIRKLICH Coolen werden owieso wieder von Schauplätzen berichten, die es gar nicht erst gibt.