Steve Winwood


Plötzlich steht Steve Winwood im Türrahmen, weißes Hemd mit einem kleinen Riß an der rechten Schulter, mausgraue Hose, so was wie Wanderschuhe an den Füßen. Das soll ein legendärer Rockstar sein? Kein Glitzerbubi, kein selbstherrlicher Angeber, kein Schaumschläger. Und genauso wird er auch von den Leuten im Londoner Island-Office behandelt: Als Kumpel und Mitarbeiter, der jene Ware liefert, die Island dann möglichst sinnvoll zu vertreiben hat. Die Kooperation ist gerade wieder aktuell Winwood hat seine erste Solo-LP eingespielt.

Wie wird die Platte heißen, frage ich Steve in London. „Och, wir haben unendlich lange überlegt und sind schließlich auf einen sehr guten Titel gekommen: „Steve Winwood“. Er amüsiert sich, von Übersensibilität keine Spur; während der folgenden eineinhalb Stunden ist er sehr mitteilsam und, wie ich schätze, sehr ehrlich. Er überlegt genau und antwortet bedächtig.

Eine besonders brennende Frage ist die, wieso ein Künstler wie Steve erst heute, im dreizehnten Jahr seiner Karriere, eine Solo-LP produziert. Während doch sonst jeder Himbeerbubi, der eine Gitarre richtig herum halten kann, sein eigenes Album aufnimmt. „Eben drum, weil jeder so etwas gemacht hat, bei dem Trip wollte ich nicht mitziehen.“ Zwar gab es 1969 mal ein Projekt namens „Mad Shadows“, das aber später als „John Barleycorn Must Die“ erschien und statt eines Winwood-Albums zur Wiedergeburts-LP von Traffic geriet. Wieso nun also doch eine eigene Steve-Platte? „Die Zeit war für mich persönlich reif. Genau jetzt hatte ich jene Songs zusammen, die ich brauchte. Das Album zeigt ungefähr die wichtigsten Seiten des Steve Winwood, zumeist in echten Songs, also ohne lange Soli und so was.“ Ist das jetzt Untertreibung, wenn jemand wie Du behauptet, er habe so lange gebraucht, die Kompositionen zu sammeln? „Nein, keine Untertreibung. Sieh ‚ mal, ich kann nicht täglich einen neuen Song schreiben, andere mögen das können, ich nicht. Außerdem hab‘ ich nicht gleich alles aufgenommen, was mir so gerade in den Sinn kam.“ Eben dies zeichnet Steve Winwood aus: Realistische Einschätzung der eigenen Möglichkeiten, was ihn sogar einmal dahin führte, einen Song mit dem Titel „Sometimes I Feel So Uninspired“ auf Platte zu bannen. Solcherlei Bekenntnisse stehen zwangsläufig im krassen Gegensatz zu jenem Image, das Industrie und Presse Winwood verpaßten: Wunderkind des Rock Group, hyperkreatives Multitalent bei Traffic; absoluter Superstar neben Eric Clapton während der kurzen Zeit mit Blind Faith. Wie sieht Steve diese Angelegenheiten heute? „Anfangs hört man’s gern, Wunderkind, Superstar. Aber sehr bald gerät dies zur unerträglichen Last, zu einer echten Behinderung. Wenn ich bedenke, was etwa aus Blind Faith hätte werden können, wenn man uns ein bißchen in Ruhe gelassen hätte….aber man hetzte uns durch Tourneen, ließ uns kaum Zeit für die LP, forderte unsinnige Kraftakte….“.

Auf dem Höhepunkt unseres Ruhms reagierte Steve ähnlich wie Clapton und zog sich weitgehend aus dem Showbiz zurück, vom kurzen Engagement bei Airforce und der relativ seltenen Arbeit mit Traffic abgesehen. Weg auf’s Land, weg von Leistungsdruck und übersteigerter Erwartung. „Ich habe damals fast nur noch Sachen gemacht, die mir wirklich Spaß machten, die „Go“-LP mit Stomu Yamashta oder die Platte mit Third World („Aiye Keta“). Auch für meine Solo-LP werde ich nichts im Sinne von Superstar oder ähnlichen Quatsch unternehmen. Promotion-Tour gibt’s nicht, Anfang ’78 ist erst die nächste Tournee vorgesehen“.

Der Drogenladen machte dicht

Was macht ein Musiker, wenn er keine Musik macht? „Auf dem Land leben. Ich wohne weit draußen mit meiner Freundin zusammen, arbeite im Garten und besitze einige Pferde, weil mich deren Zucht interessiert. In letzter Zeit treibe ich auch ’ne Menge Sport und hab‘ sogar mit Bergsteigen angefangen. Die Alpen sind mir aber zu hoch, da trete ich doch kürzer.“ Die neue sportliche Seite hat an Steve ihre Spuren hinterlassen. Wirkte er vor vier Jahren noch eher wie ein wandelnder Drogenladen, so springt ihm heute die Gesundheit quasi aus dem Gesicht. „Man wird älter und vor allem klüger, du weißt was ich meine?“ Ich kann’s mir denken.

Wenn die Musik für einen Musiker nicht mehr die Hauptsache ist, findet er dann Gelegenheit, sich mit aktuellen Problemen zu beschäftigen, sagen wir mal: Umweltschutz? „Da bin ich natürlich genauso kompetent oder auch nicht wie jeder anderer Bürger. Aber ich meine, es muß hier dringend etwas passieren, die ganze Zeit nur gewaltsamer Fortschritt, das fordert seinen Preis. Was mich immer wieder erstaunt: Es gibt Leute, die Lösungen zu Problemen veranlassen, ohne daß sie die Probleme tatsächlich kennen. Entscheidungen, die eine ländliche Gegend angehen, werden von Leuten getroffen, die in der Stadt im Büro sitzen. Das ist doch irre!“ In der Tat.