Stimmungs Bomber


Ohne Cindy Wilson im Cockpit starten die B-52's mit einem neuen Album durch: Programmierter Absturz oder Überflieger?

Für den Plausch zum neuen Album GOOD STUFF haben sich die B-52’s Kate Pierson und Keith Strickland — Fred Schneider kuriert gerade die Folgen eines Autounfalls aus — einen geschichtsträchtigen Ort gewählt: In der Kulisse des Beekman-Arms-Hotels in Rhinebeck bei Woodstock, in dem einst General Washington den Kampf gegen die englischen Kolonialisten plante, diskutieren sie heute aktuellere amerikanische Phänomene.

„Die Umgebung von Woodstock ist eine wahre Brutstätte unerklärlicher Aktivitäten‘, freut sich UFO-Fan Keith Stnckland, der vor fünf Jahren in diese ländliche Gegend nördlich von New York zog. „Hier wurden schon Unmengen von Flugobjekten gesichtet, ich selbst habe auch schon zwei gesehen!“ Keiths Vorliebe für Extraterrestrisches bestrahlt auch das neue B-52-Material: „Es gibt ein Stück auf dem neuen Album, in dem wir uns Gedanken über Menschen machen, die von Außerirdischen entßhrt werden.“

Ansonsten sorgen sich die B-52’s im Jahr ’92 allerdings eher um irdische Angelegenheiten. „Ich glaube, daß wir mit unserem Engagement in Sachen AIDS und Umweltschutz vielen Amerikanern aus dem Herzen sprechen“, meint Kate Pierson, „denn sie haben von Bush wirklich die Nase voll. Wir möchten dabei nur nicht zu Predigern geraten — schließlich kann man auch die Welt verbessern und trotzdem Spaß haben!“ Aus der Haarsprayfetischistin der frühen Tage sei mittlerweile eine verklärte New-Age-Jüngerin geworden, munkeln Spötter. Kate lacht: „Früher steckte man uns in die New-Wave-Schublade, heule ist es New Age — wenigstens bezeichnet man uns in beiden Fällen als,neu‘!“

Die neueste Neuigkeit aus dem B-52-Lager: Cindy Wilson, ehedem zweite Tolle der Frauenfraktion, sucht nach fünfzehn Dienstjahren ihr Heil außerhalb der Band. „Sie wollte einfach mal wieder mit anderen Leuten zusammenarbeiten“.

berichtet Kate gelassen.

„Cindy wußte, daß eine neue LP auch eine weitere Tour bedeuten würde, und dazu liatte sie keine Lust. Außerdem wollte sie zurück zu ihrer Familie nach Georgia ziehen!“

Amerikanische Promis drängeln sich seither darum, die Abtrünnige zu vertreten. Bei einem Benefizkonzert zugunsten des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Jerry Brown sprang kurzfristig Kim Basinger — eine frühere Klassenkameradin von Keith aus Athens/Georgia — als zweite B-52’s-Gesangssirene ein. Bei der kommenden Tour wird jedoch Julee Cruise. die Seelchen-Stimme des „Twin Peaks“-Songs, neben Kate auf der Bühne stehen. Ans Aufhören war schließlich für den Rest der Band nicht zu denken. „Wirfragen uns zwar nach jedem Album, ob das nick das Letzte ist, “ meint Keith, „aber die Tatsache, daß COSMIC THING vier Millionen Leuten gefallen hat, hat uns ganz enorm motiviert. Auch die Konzerte werden interessanter — mittlerweile ist eine zweite Generation von Fans herangewachsen; die erkennen nur jüngere Hits wie ,Love Shack‘ und haben ,Rock Lobster‘ (B’52s 70er-Markenzeichen) offenbar noch nie gehört!“

Die Geschichte der Band hat außerdem schon schmerzhaftere Einschnitte erlebt: 1985 starb Bandmitglied Ricky Wilson an AIDS, aus Rücksicht auf seine Familie wurde die wahre Todesursache jedoch erst viel später bekanntgegeben. Keith: „Die allgemeine Einstellung zu AIDS war damals ganz anders als heute. Ricky ist im selben Monat wie Rock Hudson gestorben, zu diesem Zeitpunkt begannen die Leute erst langsam aufzuwachen. Wenn es nur nach uns gegangen wäre, hätten wir die Dinge viel früher beim Namen genannt!“

Nach Rickys Tod pausierten die B-52’s zwei Jahre, 1987 begannen sie mit dem Sonnschreiben für ihren Platin-Hit COSMIC THING, an den sich schließlich eine ausgedehnte Welttournee anschloß. Für GOOD STUFF holte sich das übrig gebliebene Trio Fred, Keith und Kate die schon vom letzten Tonträger bewährten Produzenten Nile (Chic) Rodgers und Don (Was Not) Was ins Studio. Mit vereinten Kräften schuf man diesmal im quirligen Power-Pop der B-52’s eine noch größere Sound-Vielfalt: Im Song „Dreamland“ beispielsweise spielt eine Hare-Krishna-Gruppe ihren Schepper-Rhythmus (Keith: „Dies mag vielleicht politisch nicht korrekt sein, aber spirituell fiihlt es sich gut an.'“), und in Keiths instrumentalem Fast-Alleingang „The World’s Green Laughter“ sorgte neben Kate auch eine bunte Vogelschar — Pirole, grünschwänzige Finken, nordamerikanische Bobolinks — für die Background-Gesänge. Kate: „Ich wollte schon immer mal mit Vögeln zusammensingen!“ Weg vom Haarspray, zurück zur Natur: Das Ozonloch jedenfalls hat an den B-52’s keine Freude mehr…