Stranglers


Ich habe mich längst daian gewöhnt, ein fahndungsträchtiges Subjekt zu sein. Meine Schlangen bei den deutschen Flughafen-Paßkontrollen sind immer die längsten. Aber was ist schon preußischer Beamteneifer gegen die Londoner Abfertigung eines Punk-Pilgers im Zeichen königlich-britischer Silberfeierlichkeiten! Schnurstracks als einer identifiziert, der bestimmt nicht gekommen ist, Ihrer Majestät-Kutschfahrt abzulichten, fand ich mich da unversehens in folgenden Dialog verwickelt: „Was wollen sie im Vereinigten Königreich?“ — „Die Stranglers angucken.“ Worauf das verbindliche Staatsdiener-Lächeln zur Inquisitionsmine geriet: „Wie lange wollen sie denn hierbleiben?… Wirklich nur einen Tag?… Dann zeigen sie mir doch erstmal ihr Rückflugticket!“ Man hat es eilig, Würger-Kumpanen loszuwerden. Schließlich gibt es in London schon Punks genug. Was soll man da noch mit Zugereisten?

Im Office der Plattenfirma United Artists erfahre ich dann leider, daß der angekündigte Auftritt der Stranglers weitab vom subkulturellen Hauptquartier stattfindet. Man gedenkt die europaweit zusammengetrommelte Journalistenrotte nach Brighton zu kutschieren. Um dem Ganzen trotz befürchteter Seriosität des dortigen Konzertpublikums doch noch den nötigen Rasierklingen-Rahmen zu geben, hat die UA-Promotionsabteilung zweibleiche Knirpse mit in den Bus gepackt, die auf den ersten Blick auch vom letzten Provinzkritiker als Bilderbuch-Punks zu identifizieren sind. Kurze Speckhaare, schwarze Lotterkluft, Kette am Hüftgelenk und geronnenes Blut im Nasenloch. Sie sind hektisch damit beschäftigt, alle fünf Minuten neue Handzettelchen zu verteilen, immer mit demselben Aufdruck: „God Save The Queen – She Ain’t No Human Being. Sex Pistols.“

Die Bildchen variieren. Ihre Majestät mal mit Hakenkreuzpupillen, mal mit Sicherheitsnadel in der Backe. Ein imagegerechter Beitrag der Skandal-Pistolen zum Silberjubiläum. Vermutlich hat deren Plattenfirma „Virgin“ einen „Rent-a-Punk“-Service eingerichtet, auf den die United Artists jetzt mangels hauseigener Schlägertruppe zurückgegriffen haben. Und die zwei markigen Milchbubis nutzen das natürlich für Konkurrenz-Propaganda aus.

Seit zwei Jahren gibt es die Stranglers jetzt schon. In jüngster Zeit sind sie hauptsächlich in der Londoner Bannmeile aufgetreten,haben sich dort (besonders als Support Act für Patti Smith) eine fanatische Anhängerschaft zusammengespielt. Die „Würger“ sind also älter als das, was man in Großbritanien inzwischen das „Sicherheitsnadel-Syndrom“ nennt. Daß sie trotzdem der „New Wave“, der Punk-Welle zugeschlagen werden, ist nicht nur ein verkaufstaktischer Schachzug. Unbeschadet der atypischen Bandbreite ihres musikalischen Ausdrucks sind auch sie „Bullshitters of the First Order“, Rock-Anarchisten, deren Live-Shows dieselbe schweißtriefende Boshaftigkeit atmen wie etwa die der Damned oder Clash.

Die Stranglers haben zwei Frontmänner, auf der Bühne und konzeptionell: Jean-Jaques Burnel (baß, vocals) und Hugh Cornwell (guitar, vocals). An der Orgel agiert Dave Greenfield, Jett Black schockt am Baß. Ihr erstes Album („Rattus Norvegicus“, vgl. ME Nr. 6/77) katapultierte sie im Handumdrehen ins Spitzenfeld der britischen Charts. Über Nacht wurden sie zu Exponenten der New Wave, zu einer von Britanniens größten Rock-Hoffnungen. Das „Odeon“ ist genauso nobel wie Brighton. Ein plüschiger Pop-Tempel, in dem ein paar hundert Kids gelangweilt zugucken, wie sich vier namenlose Punk-Prototypen im Stranglers-Vorprogramm verheizen. Ihr schwarzbebrillter Sänger scheint von epileptischen Dauerzuckungen befallen.Alles wartet, ob ihm vielleicht Schaum vor den Mund tritt. Aber vorher tritt er ab.

Dann die Würger, die sind wer. Das merkt man daran, wie plötzlich alles nach vorn schwappt. Der Gitarrist hat wirres Haar und den bösen Blick des heruntergekommenen Intellektuellen (in der Tat: er war mal Biochemiker). Er knipst sein rechtes Handgelenk an und stakt mit krummen Knien über die Bühne. Der Bassist wringt eine knallige Rhythmusbegleitung aus dem Instrument. Mit seiner Stachel-Mob-Frisur sieht er von weitem aus wie BCR-Nachwuchs. Von nahem eher wie der Schrecken einsamer Spaziergängerinnen, mit verzerrten Gesicht, unzurechungsfähigem Grinsen und schwellenden Sehnensträngen (sein Schlachtruf ist nicht umsonst: „MusclePower!“) Dagegen wirkt der poposcheitelige Organist in seinem überdimensionierten Blaumann wie ein Automechaniker beim Feierabend-Hobby. Er werkelt unauffällig an seiner Hammond herum, genauso wie der behäbige Drummer, der in die Becken langt wie in Kochtöpfe.

Was den Auftritt der vier Sonderlinge zum hypnotischen Dekadenz-Ritual macht, ist keine Show (nicht einmal einen Galgen haben sie aufgebaut). Es ist ihre Musik, sonst nichts. Seit jenen Tagen, da die Gruppe noch unter dem Namen „The Guildford Stranglers“ am liebsten den Bacharach-Titel „Walk On By“ vergewaltigte, hat sie sich mit ihrem Sound stets auf die psychedelische Dreifaltigkeit berufen: auf die Ausgeflipptheit der Electric Prunes, die Acid-Genialität der frühen Doors und den düsteren Horror von Lou Reeds Velvet Underground.

Aber die Verderbtheit der Würgerbande reicht noch tiefer, als es die moralzersetzenden‘ Vorbilder ahnen lassen: und zwar ganz exakt unter die Gürtellinie. Ganz früher hatten sie in „Schoolman“ eine Internatsleiterin verspottet, die sich zu Tode masturbierte, dann stiegen sie hinab in die Kloaken und trieben’s mit Ratten ( „Down In The Sewer“). Und das Leitmotiv all ihrer aktuellen Texte ist ein so brutal-männlicher Chauvinismus, daß man sich an den Kopf faßt, wenn man im Konzertpublikum reihenweise begeistert schreiende und hüpfende Mädchen entdeckt. Im Grunde nämlich müßte jeden Augenblick eine „Women’s Lib“- Abordnung den Saal stürmen.

Wohl selten zuvor hat eine Schallplatte so hinterhältige, zynische und sexistische Texte in die Spitzengruppe der Inselcharts transportiert wie „Rattus Norvegicus“. Nach Kostproben braucht man nicht lang zu suchen: „Someday l’m gonna smack your face/ Beat you honey, till you drop“ hießt es gleich im ersten Song. Und was die Vier von Emanzipation halten: „Look over there/ Is she trying to get out of that (gemein ist natürlich ein Kleidungsstück /Liberation für Women, that‘: what I preach. Preacher Man.‘ Und wenn so ein zynische; Männlichkeits-Missionar ein ge eignetes Lustobjekt sichtei („She’s the queen of the Street/ What a piece of meat“), danr. wird nicht lang gefackelt: „1 was here/ She was there/ We did the only thing possible.“ Henry Miller würde sich vor Begeisterung auf die Schenkel schlagen.

Leider seien die Frauen-Würger morgen den ganzen Tag ausgebucht, bedauert die United-Artists-Presseabteilung. Aufzeichnung für „Top Of The Pops“ (!). Ich bedaure es auch. Vielleicht hätte man per Interview ergründen können, wieviel echter Irrsinn und wieviel kommerzielles Kalkül hinter der Stranglers-Masche steckt. Ich hätte die Vier auch gern gefragt, wieweit sie sich von den legendären „Abenteuern der Phoebe Zeit-Geist“ haben beeinflussen lassen, jenem im wahrsten Wortsinn atemberaubenden Comic von Michael O‘ Donoghue und Frank Springer, in dem eine nackte Unschuld von impotenten Nazi-Schergen, sodomistischen Rotchinesen und dutzenderlei anderweitiger Sexual-Fetischisten gepeinigt wird. Das Stranglers-Album könnte der unglaublich perfekte Soundtrack für diesen Comic sein. Mit einer gewichtigen einschränkung: auch „Phoebe Zeit-Geist“ hat auf den ersten Blick schockiert. Aber auf den zweiten erkennen lassen, daß die Dichte der Klischees nichts anderes beabsichtigte als die massive Entlarvung eines Bilderbuch-Genres, das von perverser Spekulation lebt. Die Stranglers als ähnlich ironische Musik-Aufklärer? Wohl kaum. Ihr Zynismus bleibt vordergründig. Und die Kids scheint das nichtmal zu stören. Kein Wunder bei der verdammt guten Musik.