Take That und kick it!


Auch die Beatles der 90er waren ein Kindergarten mit strenger Aufsicht.

Sie waren oben. GANZ oben. Im nachhinein schien es für Take That sogar eine einfache Übung gewesen zu sein, die New Kids On The Block in den Schatten zu stellen – nach deren Vorbild hatte Nigel Martin-Smith, Model-Agent aus Manchester, Ende der 8oer Jahre seine eigene Boygroup ins Rennen um Chartplatzierungen und Stofftier-Sperrfeuer geschickt. Take That nannten sich in den frühen Tagen wackliger Pirouetten und Chorsätze Kick lt. Sie waren zu viert: der talentierte Songwriter und Musiker Gary Barlow, die Breakdancer Jason Orange und Howard Donald sowie das Fußballtalent Mark Owen. Martin-Smith aber wusste: Boygroups sind nicht zu viert! In einem weiteren Casting im Sommer 1990 sollte das Quartett deshalb um den 16-jährigen Schulschwänzer Robert Peter Williams ergänzt werden: Robbie, der Lausbub der Gruppe.

Schon in den ersten Monaten gab es Probleme zwischen dem lebenshungrigen Rebellen und Martin-Smith, der strenge Verhaltensregeln aufstellte, um seine Goldesel im Zaum zu halten. Den Erfolg fest im Blick, rauften sich Robbie und Nigel zusammen. Los ging’s mit den knackigen Knaben quer durchs Land, vor allem durch Schwulenclubs, wo ihr homosexueller Manager großes Potential sah. Die Jungs wirbelten im Leder-und-Nieten-Outfit über die Bühnen, doch die Plattenindustrie zeigte kein Interesse. So finanzierte und veröffentlichte der Manager die erste Single selbst: „I Do What U Like“ landete auf Platz 82. Daraufhin biss im September 1991 endlich die RC A an. Zwei weitere Jahre mühten sich die Jungs im Charts-Mittelfeld und bei unzähligen Auftritten. Dann endlich erreichte „It Only Takes A Minute“ im Mai 1992 Platz sieben, und die Boygroup bekam das Publikum, das ihr gebührte: Schulmädchen.

Eineinhalbjahre später eroberten Take That mit „Pray“ und dem unverwüstlichen Disco-Klassiker „Relight My Fire“ an der Seite der auch nicht mehr ganz frischen Grand-Prix-Legende Lulu zweimal die Spitzenposition der Hitparade. Fünf weitere erste Plätze sollten folgen. Die Take-That-Hysterie, die sich auf der Insel ausgebreitet hatte, griff aufs Festland über. Doch je heller der Stern von Take That leuchtete, desto mehr verdunkelte sich das Verhältnis zwischen Robbie und Nigel: Bald wünschte sich der Befehlshaber jene Tage zurück, in denen Robbie in der Öffentlichkeit nur rauchte oder sich mit attraktiven Starlets ablichten ließ. Doch Robbie soff, nahm Drogen, geriet völlig außer Kontrolle, sprang auch mal in einen vermeintlichen Swimming-Pool, der in Wirklichkeit ein (leerer) Springbrunnen war, und zog sich dabei eine heute noch prangende Narbe an der Stirn zu. Die Einmischung seiner Mutter Jeanette in Nigels Geschäfte tat das Übrige: Auf dem Zenith ihrer Karriere verließ Robbie im Frühsommer 1995 Take That. Eine ganze Backfisch-Generation war in Tränen aufgelöst. Selbstmorddrohungen vor allem deutscher Fans machten Schlagzeilen. Während der Meuterer in eine hausgemachte Hölle aus Drogenabhängigkeit, Prozessstreitigkeiten und Beziehungsbrüchen stürzte, sah sich die wieder aufs Pioniermaß gestutzte Gruppe befreit zu noch Größerem berufen. Tatsächlich hielt sie aber nur noch ein gutes halbes Jahr durch.

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Gary Barlow kam die Auflösung von Take That dennoch gerade recht. Die Solokarriere des vermeintlich profitabelsten Pferdes im Stall startete mit dem Album OPEN road 1997 sehr erfolgreich, doch schon bei der zweiten Soloplatte waren die Briten seiner seichten Balladen überdrüssig; heute schreibt er Songs für Blue und Atomic Kitten. Mark Owens Britpop-orienüerte Solokarriere mit Hilfe von Produzent John Leckie (Stone Roses) startete 1996 ähnlich vielversprechend. Doch dann riss auch bei ihm der Faden. Erst sein Sieg in einer Promi-Version von „Big Brother“ brachte Owen wieder ins Rampenlicht. Sein zweites Album in your OWN time erschien im November vergangenen Jahres. Howard Donald fand als zwischenzeitlich in Clubkreisen hoch geschätzter DJ für House und Techno an die Turntables zurück, an denen er schon vor seiner Boygroup-Karriere ein paar Pfund verdient hatte. Jason Orange schließlich wechselte nach dem Split die Bühnen, hinüber zum Schauspiel, wo er jedoch nicht richtig Fuß fassen konnte, zog sich endlich ganz aus dem Unterhaltungsgeschäft zurück und begann ein Studium der Soziologie und Psychologie. In einem Interview sagte er dazu: „Ich finde es großartig, wieder meinen Kopf zu benutzen.“