Talking Heads – Remain in Light


Weiß der Teufel, woher ein bleichgesichtiger Kunststudent wie David Byrne solch ein goldenes Händchen für zwanghaft tanzbare Rhythmen hat! Und das nicht erst seit den Alben „Naked“ oder „Rei Momo“. 1980, als die Talking Heads noch die Band Talking Heads waren (und nicht David Byrne plus Jerry Harrison plus diverse andere Solo-Interpreten), gelang ihnen mit „Remain in Light“ das vierte Maßstäbe-setzende „Beinahe-Rhythmus-pur“-Album innerhalb von knapp vier Jahren. Schon auf dem Vorgänger „Fear of Music“ war zu hören, was jetzt unter dem Einfluß des Afrika-Reisenden Produzenten Brian Eno voll ausbrach: schwarze Polyrhythmik und nervöse Melodiebögen: blubbernd- wuchernde Klangdickichte, durch die sich David Byrne mit seinen übergroßen Anzügen schlängelte wie eine mit Sonnenöl eingeschmierte Viper. Vor einer Kulisse aus Ethno-Getrommel (zum Großteil aus dem Computer), Disco-Gitarren und James Browns Funk-Gezappel nölt sich Byrne mit der hysterisch-überdrehten Kiecks-Stimme eines „Psycho Killers“ (erschien auf dem 1977’er Album-Debüt „Talking Heads“) durch seine ganz persönliche, verquere Welt. Und die besteht vor allem aus bösartigen Angriffen auf Zeitgeist-Dekadenz, Massenmedien-Kontrolle und Bodybuilding. Wirklich nur „Once In An Lifetime“? Zumindest danach nie wieder: Leider setzte „Remain in Light“ auch einen vorläufigen Schlußpunkt in der Schaffensphase einer der innovativsten Bands der letzten Jahre. Irgendwie wollte jeder „was eigenes“ machen: Byrne ein Experimental-Ballett, Chris Frantz und Tina Weymouth den „Tom Tom Club“, und Jerry Harrison eine Solo-LP. Und als man dann 1983 zu „Speaking in Tongues“ wieder zusammenkam, war die Luft weitestgehend raus. Sicher – wer vor allem Wert auf das komprimierte Hit-Sperrfeuer legt, ist mit der Plattezum-Film „Stop Making Sense“ (1984) am besten aufgehoben. Dennoch bleibt „Remain in Light“ für viele das beste Album der 80er.

Der dritte und letzte Teil der „100 Meisterwerke“ folgt in Heft 12/93 am 18. November