The Rolling Stones


Exile On Main Street (1972)

6 Es gab Zeiten, da warf man den Stones bedeutungsvoll vor. den Blues verraten und überhaupt die „Authentizität“ der Anfangstage verloren zu haben. Als ob das irgendeine Bedeutung hätte. Dennoch stieß ein Album wie „Exile On Main Street“ erwartungsgemäß auf hysterisches Hohngejaule, unter anderem, weil Jagger sich obendrein erdreistete, eine damals sehr populäre schwarze Bürgerrechtlerin (Angela Davis, das erste Polit-Pin-up) in einem netten, kleinen Song als „Sweet Black Angel“ zu verniedlichen. Kurz: Es war 1972 nicht mehr politisch korrekt, Jagger & Co. zu mögen. Dabei bewegten sich die Stones musikalisch und als mitreißender Performance-Act auf dem Zenit ihres Könnens: Nach den abenteuerlichen Wirren ihres „Beggar’s Banquet“ und dem stilistischen Schleuderkurs von „Let It Bleed“, hatten sie ein Jahr zuvor mit „Sticky Fingers“ sichere Fahrwasser angesteuert und perfektionierten den endlich gefunden Neo-Stones-Stil auf den 66 Minuten ihres musikalisch überreich ausgestattenen Doppelalbums „Exile On Main Street“. Ohne eine Sekunde Leerlauf zogen Jagger und Richards zwei Jahre bevor Ron Wood für Mick Taylor in die Band kam nicht nur Stil-Bilanz.

sondern demonstrierten gleichzeitig, wie man alles von „Aftermath“ bis „Let It Bleed“ hätte besser machen können. Obendrein entdeckten sie noch massenhaft musikalisches Neuland: Die Single „Tumblin“ Dice“ entwarffrischen Countryrock ä Ia Stones, „Rocks Off‘ und „Rip This Joint“ emanzipierten Keith Richards endgültig von seinem musikalischen Übervater Chuck Berry. Und mehr: „Shake Your Hips“ fingerte souverän im alten und ehemals bewährten Boogie-Metier und wer den ganzen, zarten Schmerz wollte, konnte sich in dem zehrenden Gospel-Pathos von „Shine A Light“ wälzen. Trotz vieler Gäste (u.a. Billy Preston, Dr. John. AI Perkins und Stile gössen die Stones ihre 18 Songs in einen ultrahomogenen, äußerst relaxten Sound — eine Meisterleistung von ihrem Haus-und-Hof-Producer Jimmy Miller. Nichts weniger als das definitive Stones-Album also.