The Wall


„The Wall“ hält nun Einzug in die hiesigen Kinos. Roger Waters, auch hierfür das Script verantwortlich, nutzte dies ah willkommenes Ventil, um menschliche und künstlerische Frustrationen abzulassen. In der Rolle des Pink glänzt ein stoischer Bob Geldof durch Geistesabwesenheit, während um ihn herum der unkontrollierte Wahnsinn einer ganzen Generation tobt. Im Zeitraffer auf anderthalb Stunden komprimiert, ergibt sich daraus für den Zuschauer eine gnadenlose Attacke: ein optischer und akustischer Overkill! Stein um Stein mauern sie uns ein. Regisseur Alan Parker und Pink Floyds Roger Waters, derfür die Verfilmung seines Monumental-Opus höchstpersönlich das Drehbuch schrieb. Am Londoner Leicester Square lief der Film in Quadro – seid froh, daß es hier nur Dolby-Kinos gibt. Denn »The Wall“ ist nicht nur eine optische Attakke: Allein der Soundtrack besitzt alle Qualitäten der psychologischen Kriegsführung. Das Phänomenale daran ist, daß keiner, der physisch und psychisch erschöpft aus dem Kino kam, richtig weiß, ob er nur seine Feinde oder auch seine Freunde in diesen Film schicken soll. Fest steht nur, daß man stundenlang darüber diskutieren kann, ergebnislos allerdings. »The Wall“ ist kein Spielfilm. ,Eine neue Kunstform“, schwärmte Kate Bush, die ihrem Mentor David Gilmour schnell ihre Begeisterung durchtelefonierte, ehe die Pink-Floyd-Mannschaft mit den schlechten Kritiken konfrontiert wurde. .Es hat mich unheimlich an SydBarrett erinnert,“ interpretiert sie die Bilder, in denen der von Bob Geldof mit stoischer Abwesenheit verkörperte Pink mit dem Fernseher in die Isolation emigriert. Die Angst, einmal genauso wegzutreten wie seinerzeit der legendäre Pink-Floyd-Gitarrist, steckt irgendwo auch in Roger Waters. Aber das Schizophrene am „WalT-Spektakel war ja schon offenkundig, als er auf vier LP-Seiten mit einer künstlerischen Situation abrechnete, die er und seine Mitmusiker in erster Linie selbst heraufbeschworen haben. Größeres Equipment, größere Hallen, unpersönliche Publikumsmassen – entfremdete Kreativität. Zu bedauern, was? Bald darauf besuchten die Opfer ihrer Popularität die Bundesrepublik, um ihr Mauer-Werk eine Woche lang in Dortmund aufzuführen. Dir Troß umfaßte ungefähr die Einwohnerzahl einer mittleren Kleinstadt. Kaum anzunehmen also, daß die Verfilmung sich in bescheidenem Rahmen abspielen würde. Regisseur Parker verrät allerdings in seinen Aufzeichnungen, daß man alles Theatralische so weit wie möglich aus Waters‘ ursprünglicher Drehbuchkonzeption entfernt habe. Parker, der gleich mit seinem Spielfilmdebüt „Bugsy Malone“ immensen Erfolg erzielte, später mit „Midnight Express“ und „Farne“ kaum Popularitäts-Einbußen einzustecken hatte, vergleicht die Arbeit an diesemFilm-Monster mit einer .Uberquerung der Victoria-Fälle in einer Regentonne.“ Waters, den er selbst noch ermutigt hatte, das Drehbuch zu schreiben, besitzt einen ausufernden Mitteilungstrieb. .Rogers ist es nie darum gegangen, ein Drehbuch zu schreiben, ‚erkennt Parker die Situation. “ Für ihn w ar es die Ergrün düng seiner Psyche zur Findung persönlicher Wahrheiten, während ich mehr an kinogerechter Fiktion interessiert war.“ Wer mag sich ausmalen, was aus »The Wall“ geworden wäre, hätte Parker nicht hier und da drastisch eingegriffen. Denn auch so noch muß der Regisseur (der vorher .Shoot The Moon“ drehte) seinen guten Namen für einen Monumentalschinken voll ungesunder Reizüberflutung hergeben. Reduziert auf die isolierte und manisch weggetretene Darstellung der zentralen Figur durch Bob Geldof, hätte der Film eine durchaus moderne und darüberhinaus spannungsreichere Dimension gehabt. Der unkontrollierte Wahnsinn einer ganzen Generation projiziert sich hier auf eine einzige Figur. Der Zuschauer, dem keine Chance bleibt, es Pink gleichzutun, nämlich die Tür zu verrammeln, ertrinkt in einer Hut montierter Sequenzen. Die Sensibilität einzelner Bilder verreckt in einem Rundumschlag aufdringlicher Szenenfolgen. Es sind einfach zu viele Filme, die in ,The Wall* ablaufen – jeder von ihnen komplett durcharrangiert, auch wenn er nur aus einer einzigen Einstellung besteht. Angefangen bei den vaterlosen Kriegskindern, die ihre Deformation fürs Leben im Fließbandbetrieb der Schule erfahren und heute die Schlachtfelder auf die Straße, ins Fußballstadion oder in die Konzertarenen verlegt sehen – bis hin zum totalen Kontaktverlust der Hauptfigur Pink. Dazwischen machen sich die zeichnerischen Horrortrips von Gerald Scarfe breit, der seine maliziösen Strich-Monster bereits bei den, WalT-Konzerten auf die Leichtbau-Mauer schickte. Scarfes Karriere begann als Karikaturist beim berühmten „Punch“ und setzte sich fort beim satirischen .Private Eye“. Die pointierte Boshaftigkeit seiner Zeichnungen wuchs, nachdem er in den 60er Jahren für die »Sunday Times“ den Wahlkampf zwischen Goldwater und Johnson beobachtete und später nach Vietnam geschickt wurde. Scarfe ist übrigens der Schöpfer jener verzerrten Poliüker-Portraits (Lieblingsobjekt: Richard Nixon), mit denen zuerst das renommierte .Time Magazine“ seine Titelseiten zierte. Für „The Wall“ wurde Gerald Scarfe als Trick-Regisseur verpflichtet. Unter seiner Anleitung entstanden Animationsserien, in denen sich die Metamorphose des Harmlosen zum Bedrohlichen vollzieht, und zwar in rauschhaften, rasendschnellen Folgen. Sicherlich die wichtigste Sequenz: Der Liebesakt der Blumen, der in kitschiger Unschuld beginnt und in einer blutrünstigen, zerfetzenden Orgie endet. Blutrünstig ist nebenbei das gesamte Opus, was allerdings nicht ausreichend motiviert ist. Ganz gleich, ob Pink im rotverfärbten Wasser des Swimmingpools treibt oder sich mit der Rasierklinge verunstaltet, bei den Dreharbeiten war soviel Theaterblut im Einsatz, daß laut Parker sogar dem Team schon mulmig zumute war. Daß echtes Blut floß, versuchte man weitgehend dadurch zu vermeiden, daß man einer echten Londoner Skinhead-Truppe (den als Komparsen verpflichteten „Tilbury Skins“), so Parker: .die Grundbegriffe des Stunting“ vermittelte. Was bedeutet, „daß man jemanden eineknallt, ohne ihm den Kiefer zu brechen.“ Die Skins lieferten die faschistoide Staffage für Pinks Führerauftritt, ein zwar wagnerianischer, aber treffender Aufzug: Der Rock’n’Roll-Star als Manipulator der Massen, gerade noch gefährdet und plötzlich gefährlich. Das Idol als Opfer der Massen und die Massen als Opfer des Idols. Die Ausbeutung funktioniert hervorragend in beide Richtungen, solange sich Star und Fan ihre Naivität erhalten. Und so endet eben manche Romanze – genau wie Scarfes Zeichentricks – im Desaster. Aber das wußten wir ja schon vor dem Film.